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„Unser Gesundheitssystem ist ein Schönwettersystem“

Der Sommer 2023 war der wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen. Wie gut ist unser Gesundheitssystem auf die Folgen steigender Erwärmung vorbereitet? Ein Gespräch mit Dorothea Baltruks vom Centre for Planetary Health Policy (CPHP) in Berlin.

Klimawandel Gesundheitssystem

Dorothea Baltruks ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Centre for Planetary Health Policy (CPHP) in Berlin und arbeitet zum Thema Zukunft des deutschen Gesundheitswesens.

Wie gut ist unser Gesundheitssystem auf den Klimawandel vorbereitet?

Unser Gesundheitssystem ist ein Schönwettersystem. Es hat sich noch nicht den Gesundheitsgefahren gestellt, die der Klimawandel mit sich bringt. Das ergab auch ein Gutachten zur Resilienz im Gesundheitswesen, das Anfang 2023 publiziert worden ist.

Worauf muss sich das Gesundheitssystem mit Blick auf den Klimawandel vorbereiten?

Zum einen müssen wir uns auf den Katastrophenfall durch Extremwetterereignisse vorbereiten, also Rettungsdienste stärken, Akuthilfe vorbereiten, aber auch die Nachsorge von traumatisierten Menschen. Des weiteren müssen Patient:innenzimmer in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen vor Hitze geschützt werden und Gesundheitsgebäude klimagerecht bewirtschaftet werden.

Es geht aber auch darum, Krankheitsbilder mit Blick auf Hitze zu verstehen – und das Gesundheitspersonal entsprechend zu schulen: Hitze verschlimmert beispielsweise psychische und Herzkreislauf-Erkrankungen, und die Zahl der Schlaganfälle steigt. Die wenigsten Menschen sterben direkt an einem Hitzeschlag, eher an einem Schlaganfall.

Ein weiteres Thema sind Medikamente. Manche Arzneien wirken entwässernd oder beeinflussen die Thermoregulation des Körpers, hier gilt es besser zu verstehen, wie Hitze ihre Wirkung verändert und welche neuen Wechselwirkungen zwischen Präparaten unter Hitze auftreten.

Schließlich geht es auch um sozioökonomische Auswirkungen: Wie schützen wir die Paketbot:innen, die bei Hitze arbeiten? Wie die Menschen im aufgeheizten Dachgeschoss an einer großen Straße, die nicht gut lüften können?

Wo muss man ansetzen, um die Gesundheit der Bevölkerung vor den Folgen des Klimawandels zu schützen?

Das stärkste Mittel – und das sagt auch das Gutachten – ist „Health in all policies“, also das Prinzip, Gesundheit in allen politischen Ressorts mitzudenken. Gesundheit wird ja nicht nur im Gesundheitsministerium bestimmt, sondern auch durch Entscheidungen zur Umwelt, zur Arbeit, zum Wohnungs- und Städtebau, zum Verkehr, zur Wirtschaft und zur Bildung. Würde die Verkehrspolitik Luftverschmutzungsschutz praktizieren, hätten wir beispielsweise weniger Asthmapatient:innen, die unter Hitze leiden und deren Asthmasprays wiederum dem Klima schaden. Leider wird dieser große Hebel - „Health in all policies“ - bislang in Deutschland kaum genutzt.

 

Wie groß ist der Treibhausgas-Fußabdruck des Gesundheitssystems selbst?

Bislang können wir ihn nur aufgrund von Daten anderer Länder hochrechnen. Ungefähr fünf Prozent der nationalen Treibhausgasemissionen gehen auf das Gesundheitswesen zurück. Davon entstehen 71 Prozent durch internationale Lieferketten für Arzneimittel, Medizinprodukte, Materialien und Verpflegung. Emissionen sind aber nicht das einzige Problem. Es geht auch um andere ökologische Schäden, die indirekt bzw. in Produktionsländern Gefahren für Umwelt und Gesundheit erzeugen. Eine Studie aus den Niederlanden hat gezeigt, dass 13 Prozent des nationalen ökologischen Fußabdrucks durch den Rohstoffverbrauch für den Gesundheitssektor entstehen. Außerdem gehen jeweils etwas über 7 Prozent auf Frischwasserverbrauch, Emissionen und Landverbrauch und vier Prozent auf den Abfall des Gesundheitssektors zurück.

Wir müssen also die Produktionsbedingungen von Medikamenten betrachten. Vor allem Generika werden ja größtenteils in Indien und China produziert, wo zum Teil extrem hohe Konzentrationen von Arzneimittelrückständen in der unmittelbaren Umgebung von Produktionsstätten gefunden werden. Die vorgeschlagene Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) der EU könnte hier zum Gamechanger werden und über das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hinaus gehen: Dann wären Unternehmen, die in der EU tätig sind, zur Achtung von Menschenrechten, Umwelt- und Klimaschutz in globalen Wertschöpfungsketten gesetzlich verpflichtet.

Auch eine verpflichtende und zulassungsrelevante Umweltverträglichkeitsprüfung für Humanarzneimittel wie in der neuen Pharma-Strategie der EU-Kommission vorgesehen, könnte viel verbessern. Und es gibt viele Ansatzpunkte, wo man rasch ins Handeln kommen kann: Verpackungsgrößen etwa, oder Fragen der Adhärenz: Wie viele Medikamente landen unnötigerweise im Müll? Und ganz grundsätzlich sollten wir die Prävention priorisieren. Die beste und ökologischste Gesundheitsversorgung ist die, die gar nicht stattfinden muss.

 

 

Lesen Sie hier das Executive Summary zum SVR-Gutachten 2023

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