Die Rechtslage zur Datennutzung in der medizinischen Forschung gehört auf den Prüfstand. Das fordern der Datenschützer Dr. Thilo Weichert und der Medizininformatiker Professor Dr. Michael Krawczak. Sie haben konkrete Verbesserungsvorschläge in einem Thesenpapier veröffentlicht. Ein Gespräch mit Dr. Thilo Weichert.
Herr Weichert, inzwischen entstehen immer mehr digitale Gesundheitsdaten, die auch für die medizinische Forschung interessant sind. Wie gut ist unser Datenschutz?
Thilo Weichert: Die jetzige Rechtslage bildet nicht wirklich die Chancen und Risiken ab, vor denen wir stehen. Persönliche Gesundheitsdaten sind ein hohes, schützenswertes Gut. Ein Patient braucht Vertraulichkeit, um sich seinen Ärzten zu öffnen – diese Erkenntnis fand schon vor über 2000 Jahren Eingang in den Eid des Hippokrates. Wir haben heute Aussicht auf neue diagnostische und therapeutische Möglichkeiten durch die Auswertung von Gesundheitsdaten. Es gibt also auch ein hohes Allgemeininteresse, sie letztlich zum Wohle aller in der Forschung zu nutzen.
Wie einfach hat es die Forschung heute?
Weichert: Die Rechtslage für medizinische Forschung ist praxisfern und damit fortschrittshemmend. Wir haben einen Flickenteppich an Datenschutzgesetzen auf Länder- und Bundesebene, die auf die Besonderheit von Gesundheitsdaten nur bedingt eingehen. Die verstreuten allgemeinen Forschungsklauseln werden durch Spezialgesetze ergänzt. Das alles macht die Rechtslage unüberschaubar und die praktische Umsetzung schwierig. Dieses Regelungschaos stört nicht nur Forscher, sondern auch Datenschützer.
An welche konkreten Grenzen stoßen Forscher beispielsweise?
Weichert: Da darf eine Universitätsklinik beispielsweise nur mit fremden Daten forschen, wenn sie externes Personal einsetzt, oder externe Forscher dürfen die Daten nur nutzen, wenn sie zur selben juristischen Person – also beispielsweise zum Klinikträger – gehören. Medizinische Forschung funktioniert aber anders: Sie basiert immer häufiger auf einrichtungs- und länderübergreifenden Kooperationen, die den Austausch personenbezogener Daten erfordern.
Was sind weitere Hemmschuhe?
Weichert: Die Forderung nach frühestmöglicher Anonymisierung der Daten ist oft nicht dienlich. Langzeitstudien brauchen eine fortlaufende Zuordnung neuer Daten zu den bereits vorhandenen Daten, da darf der Bezug zur Person nicht gelöscht werden. Und bei Biomaterialien und genetischen Daten ist eine unumkehrbare Anonymisierung schlicht unmöglich, die Erbinformationen beinhalten immer den Personenbezug.
Könnte ein Patient seine Gesundheitsdaten nicht namentlich für eine bestimmte Studie zur Verfügung stellen und danach werden sie wieder gelöscht?
Weichert: Das ist zweifellos eine Möglichkeit. Doch kann die Wissenschaft an anderer Stelle mit Hilfe seiner Daten auf neue Erkenntnisse stoßen, die möglicherweise sogar dem Patienten selbst helfen würde – wären seine persönlichen Daten noch vorhanden. Daten tragen in sich eine dauerhafte Erkenntnisquelle, das endet nicht mit einem Förderzeitraum. Und viele wissenschaftliche Fragestellungen sind zum Erhebungszeitraum noch gar nicht bekannt.
Kommen denn persönliches und allgemeines Interesse jemals unter einen Hut?
Weichert: Die Europäische Datenschutzgrundverordnung, die im Mai 2016 in Kraft trat, schafft einen guten Ausgleich: In ihr genießen Gesundheitsdaten weiterhin einen hohen Schutz. Gleichzeitig wird auch die Weiterverarbeitung dieser Daten zu Forschungszwecken als hohes öffentliches Interesse eingestuft. Dieses Gesetz ist ab Mai 2018 direkt anzuwenden. Die Krux: Für nationale Gesetzgeber gibt es Öffnungsklauseln bei der Umsetzung der Schutzmaßnahmen; schlimmstenfalls bleibt also alles beim Alten.
Was sollte der deutsche Gesetzgeber jetzt tun?
Weichert: Wir brauchen einen Bund-Länder-Staatsvertrag, um das Nebeneinander und Gegeneinander der Vorschriften zu beenden. Die bisherigen Regelungen sollte man streichen und an deren Stelle neue Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Forschungsvorhaben normieren. Materiell-rechtlich kann dabei an alte Grundsätze angeknüpft werden. Doch brauchen wir für komplexe Forschungsprojekte eine Entbürokratisierung und Vereinfachung. Durch die bisher vorgesehene Einbeziehung von Ethik-Kommissionen, Ministerien und Datenschutzbehörden benötigt die Zulassung der Projekte zu viel Zeit; oft fehlt es auch an Ressourcen und der nötigen Sachkompetenz. Wir brauchen ein völlig neues Instrument. Wir schlagen unabhängige, lokal agierende Gremien vor, die es in Forschungsverbünden schon gibt; auf Englisch nennt man sie „Use and Access Committees“ (UAC). Diese müssten fachlichen, ethischen und datenschutzrechtlichen Sachverstand auf sich vereinen; ihnen sollten gesetzliche Genehmigungs- und Vetorechte übertragen, also echte Hoheitsfunktionen verliehen werden.
Neue Gremien – was wäre der Vorteil?
Weichert: Sie könnten durch die Bündelung der Aufgaben schneller und unkomplizierter vorgehen. Außerdem ließe sich hierüber mehr Transparenz und mehr demokratische Kontrolle realisieren: Wir schlagen vor, dass die UAC ein öffentlich einsehbares Forschungsregister betreiben und insbesondere direkt Datenspender ansprechen. Dies würde auch die Teilhabe der Patienten und Probanden stärken.
Das wäre eine riesige Reform – eine Herkulesaufgabe?
Weichert: Jetzt müssen alle Betroffenen an einen Tisch. Da muss viel besprochen werden, Vertrauen und vor allem Zuversicht aufgebaut werden. Und die Zeit drängt: Der Wissenschaftsstandort Deutschland leidet im internationalen Wettbewerb unter dem Fehlen einheitlicher Rahmenbedingungen. Doch wir brauchen beides: zukunftsgerichtetes Forschen mit Gesundheitsdaten und Grundrechtsschutz der Menschen.
Das Thesenpapier von Dr. Thilo Weichert und Michael Krawczak zur Neuregulierung der Datennutzung in der medizinischen Forschung lesen Sie hier.
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