Deutschland hat eine starke Forschungslandschaft – hier wird vieles entdeckt und erfunden. Doch auf dem Weg von der Idee und der Grundlagenforschung in die Praxis bremsen Regularien diese Innovationskraft aus. Der Innovationsforscher Prof. Dr. Sven Schimpf fordert Experimentierräume - Freiräume, in denen die Entwicklung digitaler Technologien beschleunigt und erprobt werden kann.
Warum finden wissenschaftliche und andere Erkenntnisse und Ideen, die in Deutschland entwickelt werden, im internationalen Vergleich nicht, nur schwer oder oft nur langsam in die Praxis? Neben mangelnder Digitalisierung und Vernetzung auch durch eine schwache Innovationskultur: „Da sind wir nicht die ganz mutigsten“, sagt Prof. Sven Schimpf, Geschäftsführer des Fraunhofer-Verbundes Innovationsforschung in Stuttgart. So bremse beispielsweise eine innovationsfeindliche Auslegung des Datenschutzes Entwicklungen aus.
Innovationsführerschaft steht auf dem Spiel
Prof. Dr. Sven Schimpf fordert deshalb Experimentierräume, in denen der Einsatz neuer Technologien erprobt werden kann und rechtliche Beschränkungen ein gewisses Maß in den Hintergrund rücken. Beispiele aus anderen Ländern zeigte, dass diese Freiräume entscheidend zum Erfolg beitragen können. „Diese Experimentierräume sind in Asien in ganz vielen Fällen schon vorhanden, weil es die Regulatorien in der Form nicht gibt. Und damit verlieren wir natürlich, wenn wir das nicht bei uns in Deutschland haben, ein Stück weit unser Alleinstellungsmerkmal als Innovationsführer“, so der Geschäftsführer des Fraunhofer-Verbundes Innovationsforschung.
Unter dem Druck der Corona-Krise seien sehr viele Lösungen ad-hoc und sehr viel schneller in die Realisierung gegangen als bislang üblich. Hier könnte man mit Blick auf so etwas wie eine Innovationskultur ansetzen: „Da gilt es, die Lerneffekte mitzunehmen und zu schauen, wo wir von diesem risikoaffineren und auch schnelleren Handeln profitieren können“, fordert Professor Schimpf. Wenn man in der frühen Innovationsphase keine Freiräume schaffe, „haben wir ganz schnell die Situation, dass Unternehmen ihre Produkte in anderen Ländern entwickeln werden – und nicht in Deutschland oder Europa.“
Innovationskultur oder: die reflexive Gesellschaft
"Innovation war lange auf die Labore der Natur- und Technikwissenschaften, auf die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Wirtschaftsunternehmen und – weniger beachtet – auf die Ateliers der Künstler begrenzt. Heute sind die kreativen Praktiken und innovativen Prozesse zu einem ubiquitären Phänomen geworden, das alle Bereiche der Gesellschaft erfasst . ...
"Das Besondere an der Innovation besteht aktuell darin, dass die Herstellung des Neuen nicht mehr dem Zufall, den genialen Einfällen Einzelner und den kreativen Praktiken gesonderter Bereiche überlassen wird. Innovationen werden zunehmend mit Absicht, mit Bezug auf viele Andere und im Kontext allgemeiner Forderungen nach strategischer Herstellung von Neuem vorangetrieben. Sie werden als auf verschiedene Instanzen verteilte Prozesse koordiniert und mit Bezug auf das Handeln und Wissen der Akteure anderer Bereiche reflektiert."
aus: Hutter M., Knoblauch H., Rammert W., Windeler A. (2016) Innovationsgesellschaft heute. In: Rammert W., Windeler A., Knoblauch H., Hutter M. (eds) Innovationsgesellschaft heute. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-10874-8_2
Foto: fxxu/photocase.de
Kommentare