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Krankheitserreger, Klimakrise – sind wir vorbereitet?

Ein Gespräch mit Prof. Carsten Watzl, Professor an der Universität Dortmund und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.

Prof. Watzl Erreger

Herr Prof. Watzl, wie ist es aktuell um die Abwehrkräfte der Bevölkerung in Deutschland gegen Krankheitserreger bestellt?

Ich denke, sie sind ausbaufähig. Wir könnten das Potenzial der Impfungen viel stärker als bislang nutzen.

Wie stehen wir bei Impfungen da?

Bei den Kindern haben wir vergleichsweise hohe Impfquoten, nicht zuletzt durch die regelmäßigen U-Untersuchungen. Sorgen macht mir die Immunität der Menschen am anderen Ende des Spektrums – also der Über- Sechzigjährigen und der Menschen mit Vorerkrankungen.

Warum?

Weil sie durch ihr Alter oder ihre Vorerkrankung ein höheres Risiko tragen, bei einer Infektion schwerer zu erkranken. Etwa bei der Grippe, weshalb die Ständige Impfkommission (STIKO) diesen Menschen die Grippeschutzimpfung empfiehlt und die Weltgesundheitsorganisation eine Impfquote von 75 Prozent. Wir erreichen in Deutschland weit unter 50 Prozent bei den über 60-Jährigen. Genauso die Pneumokokken-Impfung – also eine Impfung gegen Erreger, die Lungenentzündungen auslösen –, die ebenfalls allen Menschen über 60 empfohlen wird. Hier erreichen wir gerade einmal fünfzehn Prozent. Dabei ist eine invasive Pneumokokken-Infektion durchaus eine gefährliche Erkrankung: Die Sterblichkeit liegt bei Risikogruppen höher als bei Corona.

Das ist vor dem Hintergrund einer älter werdenden Gesellschaft keine gute Nachricht. Wie lässt sich die Situation ändern?

Die Impfquoten müssen steigen. Eigentlich müssten die Menschen von ihren Hausärzt:innen einen Impfplan ausgehändigt bekommen mit einer Information wie beispielsweise: Ab 60 haben Sie ein höheres Krankheits-Risiko, wenn Sie sich infizieren. Und mit einer Impfung haben Sie die wunderbare Chance, sich zu schützen – gegen Grippe, Gürtelrose, Pneumokokken, Corona. Vielleicht kommt bald auch noch die RSV-Impfung als Empfehlung dazu. Das sind alles Impfungen, die Sie vor einer schweren Erkrankung schützen können.

Und warum wird das nicht so gemacht?

Traditionell impfen in Deutschland eher die Kinderärzt:innen, Hausärzt:innen und Gynäkolog:innen. Bei anderen Facharztgruppen ist dieses Selbstverständnis geringer ausgeprägt. Dabei könnten sie ältere Menschen und weitere Risikopatient:innen genauso informieren und impfen. Doch meist schicken sie ihre Patient:innen dafür zum Hausarzt oder zur Hausärztin weiter. Die sind aber wiederum nicht unbedingt gut über die spezifische Erkrankung informiert und machen es dann auch nicht. Und so gehen uns viele Patient:innen verloren.

Mit Blick in die Zukunft – für welche Impfstoffe besteht hoher Bedarf, was kommt in absehbarer Zeit?

Glücklicherweise ist die Aktivität in der Impfstoff-Forschung seit der Corona-Zeit recht hoch. Die neuen RSV-Impfstoffe bieten beispielsweise neue Schutzmöglichkeiten für Gruppen, die ein besonders hohes Risiko haben, wenn sie erkranken: ältere Menschen, aber auch Kinder im Säuglingsalter. Neue Plattformen wie mRNA machen Hoffnungen darauf, dass in Zukunft Impfstoffe gegen Erkrankungen wie Malaria, Tuberkulose und HIV entwickelt werden können – also Erkrankungen, die teils hunderte Millionen an Menschen jährlich betreffen. Mit der Arbeit an Krebsimpfstoffen kommt darüber hinaus noch ein ganz neues Anwendungsfeld hinzu. Und dann sind die Fortschritte bei der Entwicklung von Pan-Influenza-Impfstoffen noch sehr vielversprechend – also Impfstoffen, die es vielleicht ermöglichen, gegen mehrere Grippe-Stämme gleichzeitig wirksam zu schützen anstatt, wie bisher, jährlich angepasst nur gegen ganz spezifische.

Vor welchen neuen Infektionserregern gilt es, die Gesellschaft zu schützen?

Wenn man das so genau wüsste! Was wir wissen, ist, dass die nächste Pandemie kommen wird. Die Frage ist nur, wann und welcher Erreger. Auch vor der Coronapandemie gab es von der WHO schon eine Liste mit Erregern, die das Potenzial haben, eine Pandemie auszulösen. Da standen die Coronaviren schon drauf, allerdings waren die Grippeviren viel weiter oben auf der Liste – also die Schweinegrippe und die Vogelgrippe beispielsweise.

Auch in Fledermäusen und anderen Tieren schlummert ein unglaubliches Reservoir an Viren, die wir noch gar nicht kennen. Gleichzeitig sind wir durch den Klimawandel zunehmend mit Krankheiten konfrontiert, die wir so nur aus tropischen Ländern kannten. Weil durch die steigenden Temperaturen die Bedingungen für bestimmte Erreger besser werden. Das gilt beispielsweise für Vibrionen, Verwandte der Cholera, die in der Ostsee vorkommen, oder für Legionellen im Süßwasser.  Aber auch die Lebensbedingungen für Krankheitsüberträger verbessern sich – für Zecken oder für Mücken.

Und wie sorgt man dafür, dass sich die Menschen dagegen schützen?

Durch gute Aufklärungsarbeit könnte man viel erreichen. Hier müssen wir noch viel besser, differenzierter werden: Es gibt Menschen, die wollen klare Ansagen. Andere brauchen viel mehr Informationen, sie wollen genau verstehen, bevor sie handeln. Die müssen wir überzeugen, indem wir ihnen anhand von Real World Daten aufzeigen, wie gut bestimmte Maßnahmen wie Impfungen schützen.

Wir haben diese Daten in Deutschland leider nicht, könnten aber anhand dänischer oder niederländischer Daten gut Vergleiche zwischen geimpften und nicht geimpften Gruppen ziehen. Vor kurzem wurden in Studien zwei Gruppen von Menschen im Alter von über 60 Jahren verglichen: Die eine wurden im vergangenen Herbst gegen Corona geimpft, die anderen nicht. Alle hatten aber im Herbst/Winter 2022/23 die Corona Auffrischungsimpfung bekommen. Bei den Personen mit der aktuellen Impfung im letzten Herbst waren coronabedingte Erkrankungen und Krankenhausaufenthalte um 70 Prozent niedriger.

Das zeigt für mich eindrucksvoll, dass es gerade für diese Gruppe der über 60-Jährigen immer noch sinnvoll ist, sich entsprechend der STIKO Empfehlung im Herbst gegen Corona impfen zu lassen. Ein digitales Gesundheitssystem würde uns helfen, solche Zusammenhänge zu verstehen und sichtbar zu machen.

Quelle Porträt: Leibnitz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo)

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