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Lernende Organisation: Was Akteure im Gesundheitswesen von anderen Branchen lernen können

Sabine Kluge_Lernen_Unternehmen_Gesundheitssystem

Viele Wirtschaftsunternehmen arbeiten daran, wie sie das Wissen aller Mitarbeiter nutzen können. Voneinander lernen ist das Gebot der Stunde. Warum, das erklärt die Transformationscoach Sabine Kluge, die namhafte Konzerne und mittelständische Firmen begleitet.

Ein großer Automobilhersteller im Süden des Landes: In der Montage können die Mitarbeiter bei bestimmten Lichtverhältnissen ihre Arbeit nicht optimal verrichten. Ein Kollege kommt auf die Idee, einen kleinen LED-Lichtstreifen auf seinen Arbeitshandschuh zu kleben. Das Problem ist behoben. Solch eine Optimierung eines Arbeitswerkzeugs geschieht in zig Unternehmen Tag für Tag. Der entscheidende Unterschied hier: Der Monteur behielt seine Idee nicht für sich. Er stellte sie anschließend in ein eigens eingerichtetes internes Firmennetz. Indem er alle teilhaben ließ, sorgte er für einen Produktivitätssprung.

 

Wissen zu teilen, sich zu vernetzten, sich über Hierarchieebenen hinweg in die Karten schauen lassen – das ist das Gebot der Stunde. Nahezu alle Dax-Konzerne, aber auch Unternehmen wie die Deutsche Bahn und andere bis hin zum Mittelstand arbeiten derzeit an der Frage, wie sie ihr gesamtes Potential – mithin das Wissen aller – nutzen können. Sie führen interne soziale Netzwerke ein, die den „richtigen“ und nicht nur den „zuständigen“ Kollegen ermöglichen, sich funktions- und hierarchieübergreifend zu allen unternehmerischen Fragestellungen auszutauschen und so die Informationen Einzelner zum kollektiv nutzbaren Wissen für alle zu transformieren.

 

Befeuert wird dieser Trend etwa durch die Beobachtung, dass beispielsweise jüngere Generationen von Mitarbeitern einen Umgang auf Augenhöhe und Mitgestaltung erwarten. Und zunehmend gilt das Gleiche für Mitarbeiter aller Generationen. Hauptfaktoren für sinkende Motivation und Verbundenheit sind den Erhebungen des Gallup-Instituts zufolge: fehlender Raum zur Mitgestaltung und fehlende Transparenz, sprich, Durchlässigkeit in den Entscheidungsstrukturen. Und da wir inzwischen – ähnlich den Pflegeberufen – auf einem Arbeitnehmermarkt sind, reichen formal gute Arbeitsbedingungen (Gehalt, Arbeitszeit) längst nicht mehr, um die Besten zu bekommen.

Das Ende der Command Control

Unabhängig davon haben Unternehmen erkannt: Es ist längst nicht mehr die Führungskraft, die die Informationshoheit und damit Gestaltungshoheit hat, es geht nur noch mit vernetzter Zusammenarbeit und der Intelligenz aller. Gerade für traditionell organisierte Unternehmen ist das ein dramatischer Schritt in der Anpassung ihrer althergebrachte Hierarchie mit ihrem  tief verankerten Verständnis von Positionsmacht und Command und Control: Feedback und Widerspruch gibt es nur von der Führung an den Mitarbeiter und die Entscheidungsmacht geht immer von der Führungskraft aus.

 

Nun also erkennen viele Unternehmen die Zeichen der Zeit und öffnen sich zeitgemäßen Strukturen der Partizipation. Besonders bemerkenswertes Zeichen ist der Erfolg des selbstorganisierten Lernprogramms „Working Out Loud“, das seit rund zwei Jahren in rasender Geschwindigkeit Einzug in Unternehmen hält und Mitarbeiter unterstützt, diese neue, vernetzte Arbeitshaltung zum Wohl des Unternehmens einzuüben. Führungskräfte erhalten in den genannten Unternehmen derzeit besonders viel Hilfestellung, loszulassen und sich einer partizipativen Kultur der Offenheit im Sinn des Unternehmenserfolgs zu öffnen.

Deutsches Gesundheitswesen: Heilung oder Neubeginn

Was bedeutet das für Unternehmen im Gesundheitswesen? Ein System, das häufig noch geprägt ist von funktionalem wie hierarchischem Silodenken, von Wettbewerbsdruck der Fachdisziplinen untereinander sowie unter führenden Experten im eigenen Haus, der auch darin mündet, das Teilen von Information und Wissen nicht wertzuschätzen und zu fördern?

 

Der Kontrast zu den bereits genutzten Möglichkeiten digitaler Vernetzung von medizinischen Experten könnte grösser nicht sein: So bieten Künstliche Intelligenzsysteme wie der IBM Watson heute die Möglichkeit, weltweit Erkenntnisse und Beobachtungen zu teilen, um beispielsweise diagnostische Fragestellungen oder Therapieoptionen mit Experten rund um den Globus gemeinschaftlich zu diskutieren.

 

Im Augenblick ist kaum vorstellbar, das in Jahrzehnten entstandene System aus verschiedenen Akteuren des Gesundheitswesens so zu innovieren, dass es unserer komplexen Realität mit all ihren Chancen, aber auch ihren Herausforderungen gerecht wird. Doch eines ist heute schon sicher: Stets aktuelle Erkenntnisse und Erfahrungen, zu kollektivem Wissen vernetzt, werden immer eine zentrale Rolle in der so genannten Guten Medizin spielen. Dazu bedarf es einer entschiedenen Hinwendung zu einer echten partizipativen Kommunikation im Sinne der Lernenden Organisation: Und damit kann jede Organisation – auch im Gesundheitsbereich – heute beginnen.

 

 

Sabine Kluge berät Unternehmen zur Zukunft der Arbeit und begleitet sie in Transformationsprozessen angesichts des technologischen, sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umschwungs. Bevor sie mit ihrem Mann die Beratung Kluge_Konsorten gründete, war sie 25 Jahre für einen großen technologischen Dax-Konzern tätig, unter anderem als Global Manager Learning und Development. Auf Linked-in wurde sie 2017 und 2018 als eine der 25 „Top Voices“ ausgezeichnet. 2019 wurde sie zu einer der 40 führenden HR Köpfe Deutschlands gewählt.

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