Welche Folgen hat Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen aus ärztlicher Sicht?
Psychische Störungen sind schambesetzt. Man tut sich schwer, sie anzusprechen. Das ist nicht nur ein persönliches Problem, sondern auch ein medizinisches, weil die Betroffenen zu spät in die Behandlung kommen. Manchmal liegt das daran, dass sie sich selbst stigmatisieren. Manchmal, weil andere ihre psychischen Beschwerden nicht so ernst nehmen. Das Problem dabei: Je später die Behandlung beginnt, umso schlechter ist die Prognose.
Was lässt sich dagegen tun?
Wenn Menschen mehr über psychische Erkrankungen wissen, ist ein erster wichtiger Schritt getan. In Australien gibt es seit vielen Jahren das Programm Mental Health First Aid, MHFA, ein Erste-Hilfe-Kurs für psychische Gesundheit: Die Teilnehmenden lernen, zu erkennen, wenn eine Person psychische Schwierigkeiten hat, wie man es anspricht und wie man Hilfe vermittelt. Dieses Projekt gibt es mittlerweile in 27 Ländern und wir rollen es nun auch in Deutschland aus.
Was erhoffen Sie sich von der Wissensvermittlung an Laien?
Wir hoffen, dass Betroffene schneller in Behandlung kommen, weil ihr Umfeld adäquat reagiert. Unser Kurs richtet sich an Angehörige, Freund:innen und Kolleg:innen und schult sie zu Depression, Angst, Psychose und Substanz-bezogene Störungen. Wenn man sich überlegt, wie viele Menschen einen klassischen Erste-Hilfe-Kurs besucht haben, wird die Dimension klar: Die meisten Menschen werden niemals in ihrem Leben jemanden reanimieren müssen. Doch viele werden sicherlich einmal in die Situation kommen, dass Angehörige oder Freund:innen ein Problem psychischer Gesundheit entwickeln.
Das Programm Mental Health First Aid wird in Deutschland vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Partnerschaft mit der Otto Beisheim Stiftung umgesetzt. Prof. (apl.) Dr. med. Michael Deuschle leitet es gemeinsam mit den Psychologischen Psychotherapeutinnen Dr. Tabea Send und Dr. Simona Maltese.
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