Die Spitzenmedizin „produziert" jährlich 300.000 Patienten mit Herzschwäche in Deutschland. Wir retten heute zwar einen Großteil der Menschen, die einen Herzinfarkt erleiden. Aber wenn sich die Versorgungsstrukturen nicht ändern, wird der große Fortschritt zum Problem für das System.
Wenn das Versorgungssystem mit dem Fortschritt nicht Schritt hält, kann medizinischer Erfolg auch Nachteile haben. Die Kardiologie ist dafür das beste Beispiel: Weil unsere Fähigkeiten und therapeutischen Möglichkeiten immer besser werden, überleben die meisten Menschen heute einen Herzinfarkt. Doch das heißt auch: Wir produzieren Herzinsuffizienz-Patienten. Denn das Gewebe, das bei einem Herzinfarkt zerstört wurde, lässt sich nicht wiederherstellen. Das Herz hat nur noch eine eingeschränkte Leistung, es ist geschwächt. 300.000 Patienten jährlich erhalten in Deutschland die Diagnose Herzschwäche. Und mit zunehmendem Durchschnittsalter werden es immer mehr Menschen. 60 Prozent dieser Patienten werden ins Krankenhaus eingeliefert. In Krankenhäusern wiederum entstehen 70 Prozent der Kosten des Gesundheitswesens. Das werden wir uns auf Dauer nicht leisten können.
Was ist also zu tun? Vor allem sind es zwei Dinge: Patienten brauchen mehr Wissen über Herzschwäche, und wir brauchen neue Versorgungsstrukturen.
Wer mit 55 noch keinen Herzinfarkt hatte, ist kein richtiger Mann
Nur drei von 100 Patienten kennen heute die Symptome ihrer Herzinsuffizienz. Ab einem gewissen Alter gilt oftmals leider: Wer mit 55 noch keinen Herzinfarkt hatte, ist kein richtiger Mann. Dass er eine Erkrankung hat, die so schwerwiegend ist wie Lungenkrebs, und er eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit hat, nach fünf Jahren nicht mehr zu leben, versteht er nicht. Viele setzen ihre Medikamente eigenständig ab, weil sie das Gefühl haben, ihnen fehlt nichts. Viele Betroffene oder ihre Angehörigen rauchen nach einem Herzinfarkt weiter. Dabei sind die Teile des Herzens, die durch den Herzinfarkt zerstört wurden, verloren. Wir können die abnehmende Leistung des Herzens in der Folge eines Infarkts zwar verlangsamen – aber aufhalten oder gar heilen können wir nicht. Das heißt: Wir brauchen mehr Krankheitsbewusstsein und müssen den Menschen mehr Wissen an die Hand geben.
Die Versorgung der Zukunft: Weg vom Allesmacher hin zu mehr Kooperation
Gleichzeitig muss sich die Versorgungsstruktur ändern. Die Idee, dass ein Patient zu einem Arzt kommt, der ihm eine Tablette verschreibt, der Patient wiederkommt – das ist zumindest bei schweren Erkrankungen nicht sinnvoll. Nötig ist stattdessen mehr Subspezialisierung – auch im Krankenhaus. Wenn ein Patient mit Herzinsuffizienz bei einem Chirurgen landet, hat er eine wesentlich höhere Sterbewahrscheinlichkeit, als wenn er bei einem Internisten landet. Das hört sich polemisch an, ist aber Tatsache. Mehr als die Hälfte der Patienten mit Herzinsuffizienz hat sieben Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Schlaganfall und psychische Erkrankungen. Das heißt: Zur Behandlung ist dringend ein interdisziplinäres Team nötig, das zusammenarbeitet – und jetzt kommt der springende Punkt: Sie müssen über die Sektoren hinaus zusammenarbeiten. Der niedergelassene Internist mit dem Psychologen und dieser mit dem Kardiologen in der Klinik.
Patienten werden dann – wie wir dies im Rahmen unseres Herzschwäche-Netzwerks bereits tun – über integrierte Versorgungsmodelle therapiert. Dabei ist der einzelne Arzt nicht mehr der Alleinentscheider und schon gar nicht der Allesmacher. Ein Case-Manager lotst den Patienten durch die Therapie. Und eine Herz-Nurse steht im ständigen Kontakt mit kritischen Patienten – das geht hervorragend über neue digitale Möglichkeiten. Die Herzschwester kommt zum Patienten ins Haus, daneben wird er durch seinen zertifizierten Hausarzt betreut, und einmal im Monat kommt er in die Ambulanz der spezialisierten Klinik. So ist gewährleistet, dass der Patient immer in guten Händen ist, dass sein Zustand regelmäßig kontrolliert wird und Klinikeinweisungen vermieden werden.
Doch genau diese Modelle werden heute noch nicht von den Krankenkassen finanziert, obwohl die Menschen besser versorgt wären und dies mittelfristig Kosten vermeidet, weil weniger Menschen im Krankenhaus landen. Obwohl dies allen klar ist, werden die Kosten für die Investitionen in diese neuen Modelle gescheut. Deshalb: Wir könnten schon viel mehr, aber das System ist noch zu langsam.
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