Die Urbanisierung gehört zu den wichtigsten globalen Veränderungen, denen die Menschen in den nächsten Jahrzehnten ausgesetzt sein werden. Prognosen zufolge sollen im Jahr 2050 weltweit etwa 80 Prozent der Menschen in Metropolen leben. Die Bedeutung einer „gesunden Stadt“ wird damit immer größer. Doch was ist das eigentlich?
Experten sind sich einig: Eine lebenswerte, „gesunde“ Stadt definiert sich nicht nur durch eine effiziente Infrastruktur, sondern sie bietet auch Platz für Begegnungen und Kommunikation, gleichzeitig Möglichkeiten zur Erholung und zum Rückzug, sie gewährleistet ein „gesundes“ Wohnen und eine gerechte Verteilung von Grünflächen. Wir haben mit Karsten Mankowsky, Mitglied im Sprecherrat des deutschen „Gesunde-Städte-Netzwerkes“, über das Thema gesprochen.
Herr Mankowsky, welches Potenzial haben sogenannte „gesunde Städte“ für die Gesundheit?
Mankowsky: Großes Potenzial. Wir wissen heute, dass ausreichend Grünflächen und Plätze für Begegnungen, das Beachten des Lärmschutzes und die Reduzierung des CO2-Ausstoßes eine immense Bedeutung für die Gesundheit haben. Auch im Wohnungsbau steckt viel Potenzial, um die psychische und physische Gesundheit zu fördern, z.B. indem Menschen von ihren Wohnungen aus ins Grüne schauen können. Aber auch das Thema Sicherheit spielt eine Rolle. Deswegen sprechen wir ja heute auch von "Health in All Policies", d.h. wir wissen, dass politische Entscheidungsfindungen in den unterschiedlichsten Sektoren eine Bedeutung für die Gesundheit haben. Diesem Konzept hat sich auch das "Gesunde-Städte-Netzwerk" verpflichtet.
Was genau tut das Netzwerk?
Mankowsky: Das „Gesunde-Städte-Netzwerk“ ist eine globale Bewegung, die bereits in den 80er Jahren von der WHO ins Leben gerufen wurde und die sich zum Ziel gesetzt hat, die Themen Gesundheit und Gesundheitsförderung in den Stadtverwaltungen zu stärken – und zwar nicht nur in den Gesundheitsämtern, sondern auch in anderen Bereichen der städtischen Verwaltung wie Städtebau, Verkehr, Bildung etc. Die Arbeit findet also hauptsächlich auf kommunaler Ebene statt. Durch den Austausch mit anderen Kommunen und Netzwerken, wie er beispielsweise erst kürzlich bei der WHO-Konferenz in Belfast stattgefunden hat, lernen wir aber natürlich auch voneinander.
Welche erfolgreichen Modellprojekte für ein gesünderes Leben in der Stadt gibt es denn bereits?
Mankowsky: Es gibt beispielsweise sehr interessante Entwicklungen in Skandinavien und den Niederlanden. So hat in Utrecht bereits ein Umdenken stattgefunden: Die Stadt ist sowieso schon für ihre vielen „grünen Lungen“ bekannt, aber in den vergangenen Jahren wurden zudem noch die Fahrradwege stark ausgebaut und zurzeit wird ein riesiges Parkhaus errichtet – aber nicht für Autos, sondern für Fahrräder. Zudem können von der Stadtverwaltung Solarautos gemietet werden und die Häuser wurden im großen Umfang begrünt. Es gibt aber auch viele andere Möglichkeiten. Wir wissen aus Statistiken, dass die größten gesundheitlichen Risikofaktoren nach wie vor Rauchen, zu wenig Bewegung, Übergewicht und übermäßiger Alkoholkonsum sind. Das heißt, alles, was dagegen getan wird, trägt auch zu einem gesünderen Leben in der Stadt bei. Das können auch kleine Aktionen sein. So verteilt beispielsweise die Moskauer Metro Freikarten an Menschen, die nachweisen können, dass sie Mitglied in einem Sportverein sind. Auch die Einrichtung alkohol- und rauchfreier Zonen im Freien, wie es sie in einigen Städten oder Ländern schon gibt, trägt zu einer gesünderen Stadt bei.
Wo stehen wir bei dem Thema in Deutschland?
Mankowsky: Ich würde sagen, wir stehen europaweit im Mittelfeld. Sicherlich ist man in Skandinavien beispielsweise in der Stadtentwicklung schon viel weiter. Denken Sie an Kopenhagen, wo der Ausbau von Rad- und Fußwegen sehr gefördert wurde. Mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zu fahren, ist dort etwas völlig Normales. Aber auch in Deutschland gibt es bereits einige gute Beispiele. So hat Dresden sehr viel bei der Schaffung von Grünflächen und beim Thema Stadtklima getan. Doch allgemein gib es in Bereichen wie beispielsweise dem Lärm- und Klimaschutz noch viel Luft nach oben. Schade ist auch, dass beim Thema Wohnen noch zu wenig an die Gesundheit gedacht wird. So spielt Gesundheit in der Architekturausbildung bisher kaum eine Rolle. Häuser werden nach wie hauptsächlich dahingehend gebaut, dass sich die Menschen möglichst wenig bewegen. Das könnte geändert werden. Auch wären anstelle von Klima-Anlagen natürliche Ventilationssysteme sehr viel gesünder. Es gibt also noch sehr viele Möglichkeiten, die längst nicht ausgeschöpft werden.
Was müsste sich Ihrer Meinung nach von Seiten der Politik ändern?
Mankowsky: Ich denke, wir benötigen eine engagierte Kommunalpolitik, das heißt vor allem auch eine bessere Zusammenarbeit der unterschiedlichen Ämter, wie des Stadtentwicklungs-, Umwelt-, Gesundheits- und Jugendamtes. Doch dazu bedarf es auch entsprechender politischer Rückendeckung und Beschlüsse. Ganz wichtig ist auch die Partizipation in den Kommunen. Ohne die Gespräche mit den direkt Betroffenen, also unter anderem mit Vertretern der Kindergärten, Schulen usw. geht gar nichts. Aber was ich auch zugeben muss: Gerade auf solchen Konferenzen wie der in Belfast lernen wir immer wieder eine gewisse Bescheidenheit, was unsere Erfolge angeht. Oft wird immer noch mehr geredet als getan!
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