Datenschutz ist in Deutschland in der Regel immer noch ein Thema der Unterlassung. Wenn von Datenschutz die Rede ist, dann bedeutet das fast immer, man sollte nicht sammeln, man sollte nicht auswerten, die Daten sollten nicht fließen. Ein vollständiges Verständnis von Datenschutz muss aber auch bedeuten: Patienten und Gesunde haben das Recht, dass die Daten, die es über sie gibt, vernünftig ausgewertet werden.
Wir führen in Deutschland eine sehr theoretische und verkopfte Diskussion darüber, was passieren könnte, wenn Daten unvorsichtigerweise unabsichtlich oder auch absichtlich offengelegt werden beziehungsweise in die falschen Hände geraten. Sehr selten wird darüber diskutiert, was passieren könnte, wenn vorliegende Daten gar nicht ausgewertet und einem Patienten dadurch wichtige Erkenntnisse nicht zuteil werden: Dass es beispielsweise nicht auffällt, wenn er nicht kompatible Medikamente bekommt und dann vielleicht ins Krankenhaus muss oder am Ende gar daran stirbt. Oder es wird nicht herausgefunden, dass es schon fünfzehn Patienten in Deutschland gab mit genau der gleichen Mutation bei Tumoren und dass die Therapie, die der Arzt gerade vorschlägt, bei vierzehn von denen nicht funktioniert hat. Datenschutz kann und muss auch bedeuten, dass ich das Recht habe, dass Daten ausgewertet werden, wenn ich das möchte. Denn Datenschutz bedeutet immer auch Patientenschutz.
In Deutschland reift erst langsam der Gedanke, dass Datenauswertung etwas Nützliches sein kann.
Eine sehr einfache Übung ist es, sich zu überlegen, ob man im eigenen Erfahrungsumfeld oder auch aus der Presse einen Fall kennt, der hierzulande persönlich oder körperlich dadurch geschädigt worden ist, dass mit seinen Gesundheitsdaten Missbrauch getrieben wurde. Und dann kann man das vergleichen mit der Zahl der Leute, die zum Beispiel ins Krankenhaus müssen, weil sie Medikamente verordnet bekommen haben, die nicht gemeinsam eingenommen werden dürfen. Viele ärztliche Fehler passieren einfach durch ein Übersehen von Dingen. Wir sind in Deutschland wie auch in anderen Ländern im Bereich von Tausenden von Todesfällen durch Fehler in der Verordnung oder Durchführung von Therapien, die zu einem guten Teil über Datenauswertung verbessert oder ganz vermieden werden können.
Ich rede nicht dem leichtfertigen Umgang mit Daten das Wort. Aber wir brauchen eine Risikoabwägung. Die medizinische Interpretation von Datenschutz im Sinne von „der Patient ist optimal geschützt, wenn wir die Daten überhaupt nicht auswerten“, ist für viele Patienten hochgradig gefährlich.
Prof. Christof von Kalle, Direktor des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
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