Alle sechs Minuten stirbt in Deutschland ein Mensch an Sepsis. Expert:innen sagen: Das müsste nicht sein. Was läuft schief?
In Deutschland wissen viel zu wenige Menschen, was genau eine Sepsis ist oder wie man sie erkennt. Es bräuchte viel mehr Bewusstsein für die Frühsymptome einer Sepsis, damit sie rechtzeitig erkannt und behandelt wird. Wenn wir hier nichts verändern, sterben weiterhin Menschen an einer Krankheit, an der sie nicht sterben müssten.
Liegt es eher an der Unkenntnis von Laien oder von Mediziner:innen, dass die Sepsis verkannt wird?
Beides. Viele Menschen, die eine Sepsis überlebt haben, berichten, dass ihre Beschwerden als „Erkältung/Grippe“, „psychische Belastung“ oder andere Symptome als leicht und vorübergehend abgetan worden sind. Mediziner:innen wie Laien denken, eine Sepsis passiere vor allem im Krankenhaus. Nein, 50 bis 80 Prozent entstehen im häuslichen Umfeld. Es braucht auch nicht den roten oder blauen Strich, was viele Laien denken (s. Infobox). Und das medizinisch-pflegerisches Personal hat in vielen Fällen die Sepsis einfach nicht auf dem Schirm. Deshalb heißt unsere Initiative auch „DeutschlandErkenntSepsis“ und nicht „Deutschland behandelt die Sepsis“. Wenn ein Mensch erstmal auf Intensivstation ist, wissen alle Betroffenen, was zu tun ist. (Das andere Extrem ist übrigens, dass man vor lauter Angst vor einer Infektion viel zu viele Antibiotika verordnet.)
Wieso haben Sie den Anstoß für diese Initiative gegeben?
Ich konnte einfach nicht glauben, dass jahrelang nicht adäquat auf das vorhandene Wissen reagiert wurde: Wir wissen, wie hoch die Krankheitslast durch Sepsis ist, wie viele Todesfälle es gibt, wie schwer die Menschen, die so etwas überleben, an ihren Folgeerkrankungen tragen. Wir wissen auch, wie wir die Sepsis behandeln müssen und haben wahnsinnig viele wissenschaftliche Studien. Und trotzdem passiert nichts? Deutschland hat, wie so oft, kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Für mich ging es ums Tun! Zum Glück ist uns das Bundesgesundheitsministerium beigesprungen, sonst hätten wir uns als kleiner Verein daran verhoben.
Warum gibt es in Deutschland mehr Sepsis-Todesfälle in Kliniken als in ähnlichen anderen Gesundheitssystemen?
Weil die "Awareness“ fehlt. Patient:innen mit Sepsis zeigen vielerlei Symptome, sie können verwirrt sein, Atemprobleme haben, hohes Fieber oder starke Schmerzen – da denkt man an alles Mögliche, Verwirrtheit kann z.B. auch auf einen Schlaganfall leiten. Wir müssen dafür sorgen, dass künftig sämtliche Beteiligten, von Notfallsanitäter:innen bis zum ärztlichen Personal, die Sepsis immer mit auf dem Schirm haben. Wie viel sich da machen lässt, zeigt eine Initiative aus dem Bundesstaat Victoria in Australien: Im Rahmen von „An Sepsis denken und schnell handeln“ wurde die Krankenhaussterblichkeit innerhalb eines Jahres von 17,5 Prozent auf 11,3 Prozent gesenkt. Die Behandlungskosten reduzierten sich um 11,7 Millionen Dollar – die Kampagne selbst kostete 1,8 Millionen Dollar. Zum Vergleich: Eine aktuelle Auswertung von zehn deutschen Krankenhäusern zeigte bei Sepsis mit gleichem Schweregrad eine Sterberate von 27,8 Prozent.
Warum gibt es in Deutschland keinen nationalen Sepsis-Plan, das ist doch eine Frage der Patientensicherheit?
Es gibt bereits den Global Patient Safety Action Plan der Weltgesundheitsorganisation, das Antibiotic Stewardship (ABS), die deutsche Antibiotikastrategie (DART 2030), , die alle auch die Sepsis beinhalten. Es gibt also schon sehr viel Passendes, das nur noch zusammengeführt werden muss. Mein Wunsch ist, die Sepsis mit weiteren Themen in einem „Globalen Aktionsplan Patientensicherheit“ zu bündeln, der dann auch in einer nationalen Strategie verortet ist. Die Australier sagen sogar, aufgrund einer Sepsis(todes)quote kann man messen, wie gut die Patientensicherheit, sprich die sichere Versorgung, eines Landes ist. Sie ist Ausdruck gelebter Kultur, Transparenz und dem Mut, zu den Zahlen und Fakten zu stehen, wenn etwas nicht so gut ist, wie es in einem reichen Land sein könnte.
Was würden Sie sofort ändern?
Wir brauchen an unseren Kliniken mikrobiologische Abteilungen, die rund um die Uhr arbeiten. Wir müssen das Thema so ernst nehmen, dass es von jeder Fachgesellschaft aufgegriffen wird. Im Moment kümmert sich der Kardiologe um den Herzinfarkt, der Neurologe um den Schlaganfall, der Chirurg um die OP etc. Keiner hat bei der Sepsis den Hut auf. Stattdessen nehmen wir tödliche Verläufe geradezu schicksalshaft hin. Dann lag es an der Technik oder anderen externen Dingen. Was wir ganz dringend im Gesundheitswesen ändern müssen, ist, immer einen selbstkritischen Blick zu behalten. Wir müssen uns im Sinne der Patientensicherheit immer fragen: Was kann ich noch besser machen?
Das Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. ist ein gemeinnütziger Verein mit mehr als 820 Mitgliedern und Förderern, eine Vielzahl davon Institutionen aus allen Bereichen des Gesundheitswesens (Krankenhäuser, Krankenkassen, Kammern, Verbände, Patientenorganisationen, Bundesländer, Unternehmen), die sich vor 16 Jahren zusammengeschlossen haben, um die Patientensicherheit auf allen Ebenen des Ge‐ sundheitswesens aktiv und strukturell zu fördern. Die Grundfinanzierung erfolgt ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. Mehr über das APS: www.aps-ev.de
#DeutschlandErkenntSepsis wurde vom Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. initiiert und arbeitet mit den Partnerorganisationen Sepsis-Stiftung, SepsisDialog der Universitätsmedizin Greifswald, Deutsche Sepsis-Hilfe e. V. und Deutsches Qualitätsbündnis Sepsis zusammen. Schirmherr ist Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach. Pfizer ist eines der wenigen Pharmaunternehmen, das das Bündnis ebenfalls unterstützt.
Umfangreiche Informationen zur Kampagne und zu Sepsis finden Sie auf: www.deutschland-erkennt-sepsis.de
- Mindestens 230.000 Fälle in Deutschland jährlich
- Mindestens 85.000 Todesfälle jährlich – Es versterben doppelt so viele Menschen an Sepsis im Krankenhaus wie an Schlaganfall und Herzinfarkt gemeinsam
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