Der Klimawandel führt auch zu einem Anstieg an Infektionen bereits bekannter und neuer Erreger. Über die Ursachen und Möglichkeiten, gegenzusteuern – ein Gespräch mit Dr. Christian Bellmann, Senior Medical Advisor bei Pfizer.
Herr Dr. Bellmann, welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf die Gesundheit?
Wenn die Erderwärmung voranschreitet und wir in den nächsten Jahrzehnten einen ungebremsten Anstieg der mittleren Temperatur beobachten, dann ist mit regionalen und saisonalen Hitzewellen und/oder Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, großflächigen Waldbränden und Dürreperioden zu rechnen. In deren Folge erwartet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 250.000 zusätzliche Todesfälle jährlich, die als Folgen des Klimawandels einzuordnen sind.
Zu welchen Erkrankungen führt der Klimawandel genau?
Der Klimawandel ist mit einer Vielzahl an Erkrankungen assoziiert. Zu ihnen zählen kognitive Störungen und Nierenfunktionsstörungen in Folge von Hitzestress, akute Herzkreislauf-Erkrankungen, akute Lungenfunktionsverschlechterungen bei vorbestehenden Erkrankungen wie Asthma und COPD.
Darüber hinaus ist auch ein Anstieg verschiedenster - zum Teil neuartiger - Infektionen zu beobachten. Diese betreffen den Darm (intestinal), die Atemwege (respiratorisch) oder die Haut- und Weichteilgewebe bzw. können zur Sepsis führen.
Ihr Spezialgebiet sind Infektionserkrankungen – wie lässt sich deren Anstieg erklären?
Der Klimawandel hat in erster Linie direkte Konsequenzen auf Temperaturanstieg, Feuchtigkeitshaushalt sowie heftige Windereignisse. Dadurch verändern sich die Rahmenbedingungen für wichtige Zwischenwirte wie Mücken oder Zecken. Darüber hinaus kommt es auch zu einem Anstieg der Virulenz, der Ausbreitung und somit der Übertragbarkeit von wirtsunabhängigen Krankheitserregern, sogenannten Umweltpathogenen.
Das heißt konkret?
Der Klimawandel sorgt dafür, dass wir eine Ausbreitung von Krankheitserregern beobachten, die bisher typischerweise in tropischen und subtropischen Regionen verbreitet waren.
Welche Erreger oder Infektionserkrankungen sind das?
Die Datenlage dazu ist noch nicht sehr strukturiert. In den meisten Fällen gibt es noch keine aktive und verpflichtende Surveillance.
Aber einen Anstieg an Infektionen durch bereits bekannte Erregertypen sehen wir schon heute:
- Bei den Viren sehen wir eine Zunahme der Gebiete, in denen das West-Nil-Virus auftritt, ein Virus, das über die Tigermücke zu uns kommt. Ein weiteres Beispiel aus dieser Gruppe ist der Erreger des Dengue-Fiebers. Auch eine Zunahme des Hantavirus, welches durch Nagetiere verbreitet wird, ist deutlich sichtbar. Durch die zunehmend milderen Winter wachsen hier die Populationen, was die Ausbreitung des Virus massiv vorantreibt.
- Bei den Parasiten ist es die Malaria, die zunehmend, v.a. in Süddeutschland auftritt.
- Bei den Bakterien fallen vor allem die Vertreter der Gattung Vibrio auf, zu denen auch der typische Choleraerreger, V. cholerae, gehört. V. vulnificus, das normalerweise in warmem Meerwasser vorkommt, wurde inzwischen schon in den Polgewässern vor Alaska isoliert. Im konkreten Fall erkrankten mehrere Dutzend Passagiere eines kleinen Kreuzfahrtschiffs schwer, nachdem sie Austern aus dem Golf von Alaska gegessen hatten. Auch im Norden Skandinaviens, in der Ostsee, kam es 2014 zu einem massiven Auftreten von Vibrionen. Bei den vektorassoziierten Bakterienerregern fallen die Borrelien auf, die die sogenannte Lyme-Borreliose übertragen können und über Zecken verbreitet werden. Während sich Erkrankungsfälle noch vor einigen Jahren eher auf den Süden konzentrierten, treten sie nun schon bis nach Schweden auf.
- Auch pilzliche Erreger geraten hier zunehmend ins Visier der Wissenschaft.
Welche gesundheitlichen Gefahren gehen denn von Pilzinfektionen aus?
Zunächst einmal: Pilzinfektionen sind sehr vielfältig und mitunter sehr schwerwiegend. Unter den vermuteten 1–5 Mio. Pilzarten werden etwa 150 Arten regelmäßig als Erreger systemischer Mykosen des Menschen beschrieben.
Ein Beispiel ist die sogenannte Kokzidioidomykose, die das Talfieber auslöst. Oder die Candidose, die durch den Hefepilz Candida auris ausgelöst wird. Hierbei handelt es sich um den ersten Pilz, der auch Ausbrüche verursachen kann, aktuell auch im Kontext von Covid-19.
Erstmals entdeckt wurde er 2009 in Japan im Ohr einer Patientin (auris, lateinisch=Ohr). Seitdem ist der Pilz immer wieder für Ausbrüche in Krankenhäusern verantwortlich. Die Infektion kann tödlich verlaufen. Schätzungsweise 60 Prozent der Patienten, die sich mit Candida auris infizieren, sterben an der Infektion. Der Pilz ist gegen viele Medikamente resistent, was die Therapie erschwert.
Welchen Zusammenhang gibt es aber zwischen dem Klimawandel und Pilzinfektionen?
Pilze, die bei Menschen (und anderen Säugetiere) Infektionen verursachen können, sind thermotolerant, das heißt, sie haben die Fähigkeit, bei menschlicher Körpertemperatur (37 °C) zu wachsen. Die meisten anderen pilzlichen Erreger können das nicht und sind daher eher bei wechselwarmen Tieren wie Amphibien oder Reptilien ein Problem. Gegen diese Pilzerreger funktioniert unsere Körpertemperatur als eine effektive Barriere, die uns vor Pilzinfektionen schützen kann.
An die Erhöhung der Umgebungstemperaturen haben sich durch den Klimawandel aber einige dieser Pilze gewöhnt. Und Candida auris gehört dazu. Deshalb ist er jetzt eine Gefahr für Menschen.
C. auris z.B. ist ursprünglich ein Pflanzensaprophyt, zersetzte also absterbendes Pflanzenmaterial. Durch die Anpassung an steigende Temperaturen entwickelte der Pilz die Thermotoleranz, die es ihm ermöglichte auf Vögeln, also ebenfalls gleichwarmen Tieren, weit verbreitet zu werden. Der Übergang auf den Menschen und der Eintrag in das Krankenhausumfeld war dann der kleinere Schritt. Im Krankenhaus traf der Pilz dann auf immungeschwächte Wirte, deren Besiedlung die Ausbreitung noch verstärkte. Dazu kommt, dass es eine messbare Reduktion der menschlichen Körpertemperatur des Menschen innerhalb der letzten Jahrzehnte gibt. Die thermale Barriere, die uns bislang schützte, wird damit kleiner. Das lässt eine Verstärkung solcher Effekte erwarten. Bild: CDC/ Antibiotic Resistance Coordination and Strategy Unit
Wie lässt sich das Risiko von Pilz- und anderen Infektionen verhindern?
Solange sich der Klimawandel so entwickelt, wie wir das aktuell sehen, fällt es mir schwer mir auszumalen, wie wir die infektiologischen Konsequenzen dieser Entwicklung abmildern können. Neue Spezies werden kommen und Wirtsspektren werden sich weiter verschieben. Bei den Pilzen haben wir glücklicherweise bisher – wenn man von C. auris einmal absieht – zumeist keine nennenswerte Mensch-zu Mensch-Übertragung.
Einzelnen Patienten mit diesen lebensbedrohlichen Infektionen kann man aber schon helfen, indem man im Therapieverlauf rechtzeitig an eine Pilzinfektion denkt und einen Überblick darüber hat, welche Pilzinfektionen es gibt, durch welche Erreger sie entstehen, welche Patient:innen dem höchsten Risiko ausgesetzt sind und wie man entsprechende Infektionen adäquat therapiert. Hierbei können auch wir aktiv unterstützen. Dieses interview sehe ich als einen guten Anfang dafür.
Aufklärung ist das eine – wo steht die Forschung?
Vor allem um Risiken und medizinische Konsequenzen abschätzen zu können, müssen wir die Epidemiologie klimaassoziierter Infektionen verstehen lernen – und zwar auf nationalem, aber auch europäischem Niveau.
Dafür wäre es zum Beispiel hilfreich, Register aufzubauen und zu nutzen. Ein sehr wichtiges Register im Bereich Pilzinfektionen, vor allem mit seltenen oder gerade aufkommenden Spezies ist FungiScope. Es ist global gesehen das größte Register seiner Art und geht von der Uniklinik Köln aus. Darüber hinaus sind fundierte Strategien zur Verbesserung von Surveillance und Prävention bei Systemmykosen essenziell.
Und welcher medizinische Fortschritt ist zu erwarten?
Neue Medikamente könnten genau dort ansetzen, wo auch der Klimawandel ansetzt. Arturo Casadevall von der Abteilung für Mikrobiologie und Immunologie der Johns Hopkins Universität Baltimore in den USA hat erst kürzlich in einem unserer Live Webinare angeregt, sich bei der Substanzfindung auf die Zielstrukturen zu konzentrieren, die an der Ausbildung der Thermotoleranz beteiligt sind. Wenn das gelingt, wäre dies der erste Schritt zu neuen Antimykotika mit breitem Wirkspektrum.
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