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„Wir machen es Viren immer leichter“

„Wir machen es Viren immer leichter“
Prof. Dr. med. Jonas Schmidt-Chanasit

Prof. Dr. med. Jonas Schmidt-Chanasit erforscht als Virologe am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg neue Infektionskrankheiten.

Herr Prof. Schmidt-Chanasit, man hört immer wieder, es sei nicht wirklich überraschend, dass nun eine Pandemie wie die Corona-Pandemie aufgetreten ist. Warum?

Pandemien und Epidemien sind grundsätzlich ausschließlich durch die Tätigkeit des Menschen möglich – insofern sind sie immer auch Kind ihrer Zeit. Die Ausbreitung des Gelbfiebervirus in der Neuen Welt hatte seinerzeit damit zu tun, dass Sklaven aus Afrika nach Amerika verschifft wurden. Auch die Pockenviren wurden durch die europäischen Eroberer in die Neue Welt importiert. Heute können Viren binnen Stunden durch die Kontinente reisen, bedingt durch den intensiven Waren- und Reiseverkehr und die modernen Transportmittel. Das war schon bei HIV-AIDS so und ist jetzt bei COVID-19 wieder der Fall.

Viren sind also schon immer auf den Menschen gesprungen. Aber wir öffnen ihnen heute Tür und Tor, um sich rasch und massenhaft zu verbreiten?

Ja, wir machen es Viren immer leichter. In Ihrer Frage schwingt ja auch die Frage mit: Was will das Virus? Und da sage ich ganz salopp: Das Virus will gar nichts. Es ist einfach da. Wir sehen in unserem Erbgut, dass sich Viren seit Millionen Jahren ins menschliche Genom integriert haben. Dabei existieren sie aufgrund von Kontakten. Von Kontakten in den Zellen. Von Kontakten mit und zwischen den Menschen. Von Kontakten zwischen Tier und Mensch. Diese Kontakte haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zahlenmäßig zugenommen, nicht nur auf Wildtiermärkten in China. Sie sind intensiver geworden. Es entstehen heute Kontakte, die es früher so nie gegeben hat.

Zum Beispiel?

Wenn sich früher ein Jäger im Dschungel mit dem Ebola-Virus infiziert hat, dann ist er meist dort verstorben, weil es ihm gar nicht mehr gelungen ist, ins Krankenhaus zu kommen. Oder wenn er ins Krankenhaus gekommen ist, war das ein kleines Dorfkrankenhaus. Und dann haben sich vielleicht noch zehn andere Menschen im Dorfkrankenhaus angesteckt. Mehr nicht. Heutzutage schaffen es die Menschen aufgrund einer besseren Infrastruktur in die Städte, die wachsen und wachsen. Das hat man bei den großen Ausbrüchen in Liberia, Sierra Leone und Guinea gesehen. Die Mensch-Mensch-Kontakte sind inzwischen so zahlreich, dass sich Ketten schließen, die früher Lücken hatten.

Welche Rolle spielen Kontakte von Mensch und Tier?

Eine große. Dass ein Corona-Virus von der Fledermaus oder von anderen Tieren auf den Menschen übergeht, das wird schon öfter passiert sein. Aber es hat sich nicht in der Weise Bahn gebrochen, dass eine Pandemie entstehen konnte. Hier kommen die Ökosysteme mit ins Spiel: Das Erbgut von Viren mutiert täglich,auch in den natürlichen Wildtier-Reservoiren. Aber wenn ihr angestammtes Ökosystem einigermaßen im Gleichgewicht bleibt, können sie sich normalerweise nicht explosionsartig vermehren.

Das heißt, Eingriffe in die Natur sind eine zusätzliche Triebfeder für Epidemien und Pandemien?

Genau. Bei ungestörten Ökosystemen haben wir eine sehr große Diversität der Viren und Wirbeltiere. Wenn wir aber in eine von Menschen gemachte Monokultur schauen, sehen wir tatsächlich auch eine viel geringere Diversität bei den Viren, aber dafür eine viel größere Menge eines spezifischen Virus. Das kann schon entscheidend sein. Wenn Sie eine höhere Präsenz eines spezifischen Virus haben, dann steigt die Gefahr, dass sie in Kontakt mit genau diesem Virus treten. Das heißt nicht gleich, dass sich in einer Monokultur ein höher pathogenes Virus herauskristallisiert. Das nicht. Aber es ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass Kontakte und eine Verbreitung wahrscheinlicher werden. Wenn Sie in einem Ökosystem 1000 Viren haben und eines ist hoch krankheitserregend, dann ist das eher unwahrscheinlich.

Spielt die Erderwärmung auch eine Rolle?

Ja, vor allem bei Viren wie dem Dengue-Virus, die durch die Stiche bestimmter Moskito-Arten in den Menschen kommen. Bislang nur in den Tropen und Subtropen lebende Mücken werden zunehmend bei uns durch den Reiseverkehr eingeschleppt und werden heimisch, weil es hier inzwischen warm genug für sie ist. Das Dengue-Fieber könnte sich so in Zukunft auch bei uns verbreiten. Auch deshalb sollte man weiter Druck beim Kampf gegen die Klimaerwärmung machen.

Zurück zu den Viren, die, wie Corona oder auch das Ebola-Virus, von Wirbeltieren auf den Menschen überspringen. Wie folgenreich sind kulturelle Faktoren – also wie Menschen sich verhalten, welche Traditionen sie pflegen – für die Entwicklung einer Epidemie oder Pandemie?

Ganz entscheidend. Das sehen wir bei den Ebola-Epidemien, das sehen wir jetzt auch bei COVID-19: Kulturelle Faktoren dürfen wir auf keinen Fall unterschätzen, weil sie ja auch direkt Einfluss haben auf die Intervention. Sie können nicht von heute auf morgen Bestattungsrituale zum Beispiel in Afrika ändern: Du darfst Deine Toten nicht mehr waschen, nicht mehr sehen, nicht berühren. Obwohl es aus medizinischer Sicht richtig ist. Das wird aber nicht funktionieren. Deshalb müssen wir mit Anthropologen und Soziologen zusammen versuchen, darauf einzuwirken. Genauso bei der Traditionellen Chinesischen Medizin, die mit Wildtieren arbeitet. Da kann man nicht von heute auf morgen sagen: Nein, das geht gar nicht mehr. Dann wandert das in die Illegalität, und dann gewinnen Sie nichts.

Stichwort Intervention: Übertragungen scheinen aufgrund all der genannten Gründe kaum zu vermeiden sein. Was also muss getan werden, um Pandemien oder Epidemien in Zukunft zu verhindern?

Die Übertragung an sich werden wir tatsächlich nicht verhindern können. Wir dringen weiter in eigentlich abgeschlossene Ökosysteme vor. Wir pflegen immer engeren Kontakt zu Wirbeltieren. Wir werden wieder mehr reisen. Und so weiter. Deshalb ist es unsere Aufgabe, sobald Übertragungen aufgetreten sind, schneller als bisher zu reagieren und quasi den Übergang von wenigen Infektionen zu einer Epidemie oder gar Pandemie zu verhindern. Das wäre auch in China möglich gewesen, obwohl sie dort schon schnell reagiert haben. Aber man sieht: Es muss noch schneller gehen. Dafür braucht es viel Forschung und eine viel bessere internationale Kooperation in der Seuchenbekämpfung.

Copyright Artikelfoto: NIAID / flickr.com

Farbige rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer apoptotischen (einr selbstzerstörten) Zelle (grün), die stark mit SARS-COV-2-Viruspartikeln (violett) infiziert ist, isoliert aus einer Patientenprobe..

  1. Christiane

    Ein insgesamt sehr spannendes Thema, gut und verständlich erklärt.

    vor 4 years
  2. Rudolf

    Er hat vergessen zu betonen, dass nur der lebenslange Kontakt mit Viren dazu führt, dass wir unsere Immunität immer wieder neu anpassen können.

    vor 4 years

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