Prof. Dr. med. Monika Klinkhammer-Schalke ist Vorsitzende des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung e.V sowie Direktorin des Instituts für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung der Universität Regensburg.
Frau Prof. Klinkhammer-Schalke, das Netzwerk für Versorgungsforschung beschäftigt sich unter anderem mit der Versorgungssituation von Patient:innen. Wie haben Sie aus dieser Perspektive die Corona-Pandemie erlebt?
Uns wurde einmal mehr und sehr eindrücklich die Bedeutung der medizinischen und der Abrechnungsdaten gewahr: Auf höchster Ebene hätten wir im Land dringend die Expertise von Epidemiologen, Virologen und Versorgungsforschern gebraucht, um einen Überblick über die verfügbaren Datenquellen zu erhalten.
"Was uns fehlt, ist der Datenzugang und das Wissen, wo diese Daten unter welchen Voraussetzungen nutzbar sind."
Haben wir denn die Daten, auf deren Grundlage wir bessere Entscheidungen treffen können?
Wir haben viele Datenquellen. Was uns fehlt, ist der Datenzugang und das Wissen, wo diese Daten unter welchen Voraussetzungen nutzbar sind. Wir schaffen es bislang nicht, sie je nach Fragestellung zusammenzuführen. Doch neben den Problemen mit den Daten müssen wir auch die Versorgungsprobleme angehen, die in der Corona-Pandemie so sichtbar geworden sind.
Welche Probleme sprechen Sie an?
Wir haben festgestellt, dass von März bis Mai und im Oktober 2020 die Diagnosen für Brustkrebs und Darmkrebs zurückgegangen sind. Es ist zwar gut, dass wir das zeigen konnten, aber was ist die Konsequenz? Die wäre, dass wir für eine nächste Pandemie Lösungen für den Zugang der PatientInnen zu ambulanter, stationärer Versorgung sowie zu Früherkennungsuntersuchungen haben.
Hat sich denn etwas getan, wurden die richtigen Lehren gezogen?
Ja, wir haben alle Player an Bord geholt und uns auf Methoden geeinigt, wie mit versorgungsnahen Daten zukünftig gearbeitet werden muss. In einer Gruppe zusammen auch mit Behörden wie dem BfArM und Institutionen wie dem IQWiG haben wir Manuale über die Nutzungsmöglichkeit von Versorgungsdaten veröffentlicht.
Außerdem haben wir im Bereich der Versorgungsforschung sehr schnell Netzwerke gebildet und vorhandene Netzwerke genutzt. In einem haben beispielsweise internationale Anästhesisten ihr Wissen geteilt, um den besten Zeitpunkt und die Art der Intubation von Intensiv-Patienten mit Covid-19 zu vereinheitlichen. Es fand also ein Lernen statt, das zeigte, dass es am besten ist, Betroffene nicht zu einem frühen, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt zu intubieren – und im Laufe der Pandemie eine Intubation, wenn möglich, vermieden werden sollte.
"Wir haben gezeigt, dass wir klinische Daten und Routinedaten der Krankenkassen zusammenführen können."
Gilt das auch für das Thema „Daten“? Sind die Probleme verstanden und Akteure bereit, Daten miteinander zu teilen?
Ich denke, vieles ist auf dem Weg, endlich. Und technisch ist vieles möglich: Wir haben gezeigt, dass wir klinische Daten und Routinedaten der Krankenkassen zusammenführen können. Beispielsweise um die Frage zu beantworten: Sind Behandlungen in einem spezialisierten Krebs-Zentrum besser als in einer nicht spezialisierten Einrichtung? Und: Wir haben jetzt ein Datenforschungszentrum, das am BfArM angeschlossen werden soll und das Bundesgesetz zur Zusammenführung klinischer Krebsregisterdaten mit zwei Stufen, damit man die Daten auch von Kassen, Biobanken und Registern zusammenführen kann. Es ist also verstanden, aber es muss schnell passieren.
Was heißt „schnell“?
Die Plattform soll bis 2024 entstehen – zumindest das Konzept dafür. Da ich beteiligt bin, werde ich versuchen, das flotter zu machen.
Wer wird denn Zugang zur Daten-Plattform haben?
Das ist noch nicht klar. Klar ist: Forscherinnen und Forscher, Fachgesellschaften Ärzte und Ärztinnen uvm werden auf Antrag Zugang zu bestimmten Daten erhalten. Neu wird sein, dass dies auch klinische Studiendaten miteinschließt. Um dies genauer zu definieren, brauchen wir einen Maßnahmenkatalog, welche Forscher auf welchem Weg mit welchen Daten arbeiten können.
"Einige machen es besser, zum Beispiel die Niederländer. Wir unterliegen derselben Datenschutzverordnung, aber sie dürfen ungleich schneller Daten zusammenführen ..."
Wie machen es andere Länder?
Einige machen es besser, zum Beispiel die Niederländer. Wir unterliegen derselben Datenschutzverordnung, aber sie dürfen ungleich schneller Daten zusammenführen – zum Beispiel medizinische und auf die Bevölkerung bezogene Daten zu Covid-19. Solche Daten haben wir. Aber wir verstehen es nicht, sie zusammenzuführen.
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