Herr Zimmermann, mal vorneweg gefragt: Was ist eigentlich ein gutes Mikrobiom im Darm und was ein schlechtes?
DAS gesunde Standardmikrobiom hat die Forschung noch nicht gefunden. Obwohl wir Menschen uns untereinander genetisch nur weniger als ein Prozent unterscheiden, liegt der Unter schied beim Mikrobiom von Person zu Person bei bis zu 80 Prozent. Viele Mikrobiom-Forschende gehen aber davon aus, dass ein diverses Mikrobiom mit vielen Bakterienarten und -stämmen ein gutes Mikrobiom ist. Denn es füllt alle Nischen im Darm aus, die beispielsweise Krankheitserreger besetzen könnten. Dann haben Erreger einfach zu viele Gegenspieler, und das diverse Mikrobiom schnappt ihnen alle Nahrungsmöglichkeiten weg.
Was tun diese Mikroorganismen, wenn wir Medikamente nehmen?
Das ist ein interessanter Punkt, denn unser Mikrobiom hat ja erst seit etwa 100 Jahren mit der Verstoffwechselung von Medikamenten zu tun. Eine Studie von Kolleg:innen am EMBL mit 1.200 gängigen Arzneimitteln hat gezeigt, dass etwa ein Viertel von 40 repräsentativ ausgewählten Darmbakterien durch die Medikamente in ihrer Funktion stark gehemmt wurde. Medikamente sind in der westlichen Welt einer der stärksten Einflussfaktoren auf das Mikrobiom. Wir schauen uns hier am EMBL aber auch den umgekehrten Weg an: Was machen die Mikro ben mit einem Medikament?
Und?
Das Mikrobiom besitzt ein enormes metabolisches Potenzial ...
... sprich: eine große Abbau- und Umbaukraft ...
... die Darmbakterien können Wirkstoffe sowohl aktivieren als auch deaktivieren. Wir konnten beispielsweise zeigen, dass das gängige Darmbakterium Bacteroides thetaiotaomicron ein antivirales Medikament genauso zerlegen kann wie die menschliche Leber. Wenn man das dafür zuständige Gen im Bakterium entfernt, schafft es das nicht mehr. Die Frage stellt sich also: Was leisten die zwei bis drei Millionen bakteriellen Gene in uns eigentlich alles? Das haben wir mit 300 Medikamenten und rund 70 gängigen Darmbakterien getestet. Zwei Drittel der Arzneien wurden von mindestens einem dieser Bakterien verwertet! Das heißt, sie beeinflussen auch die Nebenwirkungen und die Bioverfügbarkeit. Die Frage ist: Wie viel von der Dosis eines Medikaments entfaltet im Körper tatsächlich eine biologische Wirkung? Das bestimmt das Mikrobiom im Darm mit.
Wie sieht die Zukunft der Medizin im Lichte dieser Forschung aus?
Wenn man einmal im Jahr eine Kopfschmerztablette nimmt, spielt das kaum eine bedeutende Rolle. Sehr wohl allerdings, wenn wir über personalisierte Medizin sprechen, wie wir sie etwa in der Krebsmedizin haben. Denkbar ist, dass Patient:innen eine Stuhlprobe abgeben und dann nach der Analyse ihres Mikrobioms die für sie geeigneten Medikamente in der richtigen Dosis erhalten.
Wer könnte alles profitieren?
Patient:innen, die an Krebs erkrankt sind, Menschen, deren Immunsystem unterdrückt werden muss, oder chronisch Kranke wie beispielsweise Menschen mit Bluthochdruck, Diabetes, Autoimmunerkrankungen oder psychotischen Störungen.
Könnte man auch die Darmflora so ändern, dass ein wichtiges Medikament wieder passt?
Unbedingt. Wenn ein Patient ein bestimmtes Medikament wirklich braucht, sein Mikrobiom dieses Medikament aber eigentlich nicht zulässt, lässt sich das Mikrobiom dieses Menschen verändern. Etwa durch Nahrung für bestimmte Bakterienarten, sogenannte Präbiotika, oder durch gesundheitsfördernde Bakterienstämme, die Probiotika. Aber auch durch Antibiotika, wenn nämlich die Wirkung eines Medikaments wichtiger ist als die Erhaltung des Darm-Mikrobioms.
Ist das Zukunftsmusik oder eine Sache, die wir in einigen Jahren erleben?
Diese Form der effizienten individuellen Behandlung steht definitiv am Horizont. Sie wird zumindest für gewisse Medikamente so kommen. Die Studienlage ist gut.
Lässt sich das Mikrobiom auch in der Entwicklung von Medikamenten nutzen?
Oh ja. Neun von zehn Wirkstoffkandidaten fallen während klinischer Entwicklungen raus. Ich bin überzeugt davon, dass das Mikrobiom dabei eine Rolle spielt. An den frühen Studien am Menschen nehmen vor allem gesunde Männer zwischen 20 und 35 Jahren teil. Das bildet nicht die individuelle Vielfalt der Mikrobiome ab, die dann erst später in den großen klinischen Studien sichtbar wird und so bei einem Teil der Patient:innen nicht zu den gewünschten Effekten führen kann. Daher kann es sein, dass womöglich Wirkstoffkandidaten aus sortiert werden, die für viele andere Patient:innen mit entsprechendem Mikrobiom hilfreich sein könnten. Wenn man künftig also von Anfang an das Mikrobiom mitberücksichtigen würde, könnten wir möglicherweise mehr effiziente Medikamente in die Praxis bekommen.
Woran arbeiten Sie derzeit ganz konkret?
Wir untersuchen zurzeit Wirkstoffe, die es nie in die Klinik oder auf den Markt geschafft haben. Dabei wollen wir verstehen, ob das patient:innen spezifische Mikrobiom tatsächlich eine Rolle bei der fehlenden Wirksamkeit gespielt hat, und was wir daraus für die künftige Arzneimittelentwicklung lernen können.
Prof. Zimmermann
Prof. Zimmermann
Wie kommt das Mikrobiom zum Menschen?
Ein Baby im Mutterbauch ist mikrobiologisch ein unbeschriebenes Blatt. Erst im Geburtskanal wird es mit mütterlichen Bakterien überzogen. Bei Kindern, die per Kaiser schnitt zur Welt kommen, folgt die erste Besiedelung über Hautkontakt. Anschließend erhält das Baby Bakterien über die Muttermilch, und nicht nur das: Die Milch füttert vor allem auch sein Mikrobiom, denn sie enthält Stoffe, die das Kind gar nicht verdauen kann. Mit etwa drei Jahren hat ein Mensch seine Mikroben-Grundausstattung zusammen. Sie ist jetzt relativ stabil und ähnelt dem Profil von Erwachsenen.
Der Darm bestimmt mit
Darmbakterien zerlegen Stoffe, produzieren Vitamine, neutralisieren Gifte und bringen dem Immunsystem bei, was gute und was schlechte Bakterien sind. Dabei stehen sie mit Leber oder Lunge, mit Haut, Herz oder Hirn und weiteren Organen in Kontakt. Ein feines Gleichgewicht, die Homöostase, herrscht, wenn ein Mensch gesund ist. Entsteht im Mikrobiom jedoch ein Ungleichgewicht, kann das auch Auswirkungen auf Organe haben.
Das Mikrobiom wird unter anderem mit der Entstehung von Krebs, Entzündungskrankheiten, Nieren und Leber leiden und Stoffwechselerkrankungen wie Fettleibigkeit zusammengebracht, aber auch mit Depressionen und anderen psychiatrischen Erkrankungen. Doch genauso wie die Darmflora Krankheiten befeuern kann, kann sie diese auch verhindern oder lindern: indem das Darmmikrobiom gezielt mit „guten“ Bakterien versorgt wird, die wiederum schädliche Keime verdrängen.
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