Sag mir, wo du wohnst - und ich sag dir, wie gesund du bist: Die Verknüpfung zwischen Wohngegend und Gesundheit zeigt sich während der Corona-Pandemie einmal mehr. Erste Daten weisen darauf hin, dass auch in Deutschland Menschen in ärmeren Wohngegenden häufiger von Corona-Infektionen betroffen sind. Doch wie können Städte in der Zukunft nachhaltig die Gesundheit ihrer Bevölkerung fördern? Ein Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Sabine Baumgart, Stadtplanerin und Expertin für gesunde Städte.
Prof. Dr.-Ing. Sabine Baumgart ist Präsidentin der ARL-Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft Hannover und assoziiertes Mitglied des Instituts für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen.
Foto: Uwe Grützner
Frau Prof. Baumgart, die Corona-Pandemie wirkt in vielen Bereichen wie ein Brennglas. Was zeigt sie zum Thema „gesunde Stadt“?
Durch die Pandemie sind die bestehenden Ungleichheiten in deutschen Städten schärfer hervorgetreten und sichtbarer geworden. Sie hat noch einmal deutlich gemacht, dass in Deutschland Städte auseinanderfallen: Es gibt gehobene Quartiere, in denen es den Bewohnern gut geht, wo sie einen Garten und gut erreichbare Läden und Arztpraxen haben. Und es gibt benachteiligte Quartiere, in denen man beengt lebt und zum Einkaufen vielleicht mit der S-Bahn fahren muss. Jetzt in der Pandemie deutet vieles darauf hin, dass die Wohnverhältnisse mit über eine Erkrankung entscheiden – neben dem Umstand, wie oft jemand raus muss, weil er etwa nicht im Homeoffice arbeiten kann. In Bremen kann man beispielsweise beobachten, dass die höchsten Inzidenzwerte in Stadtteilen mit sozio-ökonomisch schwächeren Bevölkerungsgruppen belegt sind, während die Werte in Stadtteilen mit wohlhabenderer Bevölkerung niedriger sind. Dies wurde auch in anderen Städten festgestellt. Behörden und Politik vermuten, dass beengte Wohnverhältnisse, niedrige Einkommen und prekäre Beschäftigungsverhältnisse eine Rolle spielen.
Gibt es auch positive Erkenntnisse?
Ja, deutlich wird, wie systemrelevant unter anderem gut zugängliche und gut ausgestattete städtische Grünflächen und Freiräume für die Gesundheit sind: Hier kann man Stress abbauen, saubere Luft tanken, sich bewegen – und auch beengte Verhältnisse kompensieren. Bleiben wir beim Beispiel Bremen: Dort verbrachten die Menschen im April während des Lockdowns in den Parks 76 Prozent mehr Zeit als vor der Pandemie und laut einer Forsa-Umfrage schätzen die Deutschen jetzt durch die Pandemie mehr die Möglichkeit, sich im Freien zu bewegen sowie Parks nutzen zu können. Ich bin mir sicher: Grüne Infrastrukturen, wie auch Gewässer als blaue sowie soziale Infrastrukturen wie Schulen, Krankenhäuser und Freizeitanlagen werden nicht zuletzt angesichts der Erfahrungen bei der Corona-Pandemie in Zukunft an Bedeutung für die urbane Gesellschaft gewinnen.
Inwiefern spielen diese Freiräume auch jenseits einer Pandemie eine Rolle?
Städte brauchen Antworten auf den demographischen Wandel und den Klimawandel, die Migrationsprozesse sowie die schon angesprochen zunehmende soziale Spaltung der Gesellschaft: Wie können alternsgerechte Quartiere mit Angeboten für den Alternsprozess in allen Lebensphasen aussehen? Wie gehen wir mit den Folgen des Klimawandels in der Stadt um? Eine zusätzliche Dynamik bringen die Digitalisierung und die Diskussionen um „Smart Cities“ sowie neue Konzepte für eine nachhaltige Mobilität – all das wirkt sich natürlich auch auf alle Leitfunktionen aus, die eine smarte Stadt erfüllt – also Wohnen, Arbeiten, Versorgung, Freizeit, Einkaufen und damit auf die Lebensqualität und Gesundheit.
Und wie sehen die Antworten aus?
Ein Vorteil ist, dass die Datengrundlagen für Planungen und Entscheidungen immer besser werden und wir dank der Digitalisierung immer mehr Daten aus verschiedenen Ressorts miteinander verknüpfen, visualisieren können und damit zum Beispiel auch den Zusammenhang zwischen sozialer Lage, Mobilität, Umwelt und Gesundheit erkennen und klar darstellen können. Eine Großstadt, die das in Deutschland bereits modellhaft gemacht hat, ist Berlin. Sehr kleinräumig wurde dort geschaut, wo es verschiedene Belastungen gibt und ein Atlas erstellt, um damit in Zukunft die Grundlage für mehr nachhaltige Umweltgerechtigkeit, Wohlbefinden und auch Gesundheitsförderung zu schaffen.
Was gehört sonst noch alles zu einer „gesunden Stadt“?
Jede Stadt ist individuell, das beginnt schon mit der Lage. Aber grundsätzlich lässt sich sagen, dass Gesundheit und Wohlbefinden implizit durch die Arbeit anderer Ressorts mitbestimmt wird: Im Quartier kommt es auch auf die Mobilität, den sozialen Zusammenhalt, die öffentlichen Freiräume, die Umweltbelastungen, den Zugang zu gesunden Lebensmitteln, die Beschäftigungsverhältnisse und die soziale Infrastruktur an. Wenn Schulen gut erreichbar sind, gibt es eine bessere Bildung und damit mehr Gesundheit. Die Ansiedlung von Arbeitsplätzen sorgt für Einkommen und damit auch für Gesundheit. Allgemein ist es wichtig, nicht dorthin zu schauen, wo es schon gut läuft, sondern auf die benachteiligten Wohngegenden. Eine gesunde Stadt ist eine Stadt, in der man Wohlbefinden für alle Bevölkerungsgruppen erreicht. Dafür muss Public Health in der Zukunft noch mehr als Querschnittsaufgabe der Ressorts begriffen werden.
Was können Städte abseits der großen Entwicklungslinien tun?
Etwa für mehr und besser ausgestattete Grün- und Blauräume sorgen. Sie fördern die Lebensqualität und das Wohlbefinden, regen zu Bewegung an, reduzieren Wärmeinseln und verbessern die lufthygienischen Bedingungen. Attraktive Bewegungsanreize zu setzen ist für gesunde Städte generell wichtig. Denn es gilt nicht nur die Umwelt-Risikofaktoren für Erkrankungen zu senken – also zum Beispiel Luft- und Lärmbelastung zu reduzieren. In Zukunft geht es vor allem auch um Gesundheitsförderung, also darum, die Menschen darin zu unterstützen, ihre Gesundheit zu entwickeln wie auch ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Im Kleinen passiert dabei bundesweit schon vieles: Die hessische Stadt Griesheim hat etwa an vielen Orten Bänke aufgestellt, damit sich die älteren Menschen unterwegs kurz ausruhen können. Die Idee dahinter: Die Wahrscheinlichkeit des Ankommens beeinflusst die Entscheidung, loszugehen. Damit helfen die Bänke, dass Menschen im Alter länger mobil, selbstständig sein und am öffentlichen Leben teilnehmen können.
Gibt es so etwas wie eine wegweisende „gesunde“ Stadt?
Es gibt inzwischen einige Städte, die sich auf den Weg zu mehr Gesundheit ihrer Bevölkerung begeben haben. Kopenhagen ist ein vielzitiertes Beispiel für mehr aktive Mobilität mit breiten Fahrradwegen im Rahmen eines sicheren Netzes. Im räumlich immer noch in weiten Teilen altindustriell geprägten Ruhrgebiet hat man das Thema auf die stadtregionale Ebene gehoben und realisiert einen durchgehend Radschnellweg über 100 km. Gleichzeitig findet man in Bochum-Wattenscheid umfassende Ansätze für Gesundheitsförderung auf der Quartiersebene. Aber auch kleine Großstädte und Mittelstädte wie Münster und Freiburg sind auf einem guten Weg, blickt man auf Mobilitätsinfrastruktur und Freiräume.
Ist der Staat jetzt wichtiger denn je, damit Menschen gesund leben?
Der Staat ist wichtig, da er die Pflicht zur Daseinsvorsorge hat. Wichtig ist es aber auch, benachteiligte Bevölkerungsgruppen zu empowern, also in ihren Partizipationsmöglichkeiten zu stärken. Es gilt, ihre Teilhabechancen und auch ihre Zugangschancen zu gesunden Lebensverhältnissen zu verbessern. Auch das kann zu größerer gesundheitlicher Chancengleichheit führen.
Foto: Beate-Helener/photocase
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