Im September 2022 haben die europäischen Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation WHO den „Digital Health Action Plan 2023-2030” verabschiedet. Es ist der erste Plan dieser Art, der die Mitgliedsstaaten bei der weiteren Digitalisierung ihrer Gesundheitssysteme unterstützen soll. Der Digital-Health-Journalist Artur Olesch traf Dr. David Novillo Ortiz, Leiter des neuen Referats „Daten und digitale Gesundheit“.
In diesem Beitrag:
Was hat die WHO zu diesem Schritt bewogen? Warum gerade jetzt?
Digitale Lösungen waren in der COVID-19-Pandemie ein Game-Changer und sie haben grundlegende Gesundheitsleistungen ermöglicht. So konnten wir beispielsweise mit Hilfe von Apps die „Online-Infodemie" – die Verbreitung falscher, ungenauer Informationen – verfolgen. Auch sicherten digitale Tools im Lockdown die Versorgung von Patient:innen – durch Online-Konsultationen oder Online-Verschreibungen von Medikamenten.
Darüber hinaus fördert die WHO ohnehin im Rahmen ihrer 2020 verabschiedeten WHO Global Digital Health Strategy digitale Gesundheitssysteme, um die Gesundheit der Menschen in Europa in großem Maßstab zu verbessern. Die Länder sollen dabei unterstützt werden, den digitalen Wandel für eine bessere Gesundheit zu nutzen und in die Fläche zu bringen.
Investitionen in Digital-Health-Technologien müssen also auf die Bedürfnisse von Gesundheitssystemen zugeschnitten sein und dabei die Werte Gleichheit, Solidarität und Menschenrechte vollumfänglich erfüllen.
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Der „Digital Health Plan 2023-2030“ benennt vier strategische Ziele. Worum geht es dabei?
Jedes dieser Ziele umfasst mehrere regionale Schwerpunktbereiche, und jeder regionale Schwerpunktbereich umfasst eine Reihe von Beispielmaßnahmen, d. h. kurzfristige Maßnahmen, die wir alle zwei Jahre umsetzen wollen. Diese strategischen Ziele wurden in enger Abstimmung mit unseren Mitgliedstaaten und Partnern festgelegt.
1. Normen zu setzen, evidenzbasierte technische Anleitungen zu entwickeln und Leitlinien zu formulieren, um die Entscheidungsfindung im Bereich der digitalen Gesundheit zu unterstützen
Unser Ziel ist es, das Bewusstsein für “Digital Health“ zu fördern, über entsprechende Forschung Evidenz zu schaffen und die Entwicklung und Erprobung von digitalen Lösungen zu begleiten.
Auch in anderen Arbeitsbereichen ist die WHO für ihre Bereitstellung von fachlicher Anleitung und High-Level-Beratung bekannt. In Bezug auf die digitale Gesundheit gibt es allerdings Lücken. Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass das WHO-Regionalbüro Europa in enger Abstimmung mit anderen WHO-Regionen und dem WHO-Hauptbüro eine Bestandsaufnahme der heutigen Evidenz vornimmt.. Natürlich gibt es bereits Fachdokumente außerhalb der WHO – und fachliche Leitlinien entwickelt, damit wir unsere Mitgliedstaaten nicht nur mit unserem Fachwissen, sondern auch mit der verfügbaren Evidenz unterstützen können.
2. Stärkung der Kapazitäten der Länder zur besseren Bewältigung der digitalen Transformation im Gesundheitssektor und zur Förderung der digitalen Gesundheitskompetenz
Dieses Ziel bewertet die Leistungsfähigkeit der einzelnen Mitgliedsstaaten.
Dazu gehört auch die Unterstützung bei der Umsetzung der Fachanleitungen, die ich im ersten strategischen Ziel erwähnt habe. Außerdem geht es darum, die Länder bei der Entwicklung oder Verbesserung von Strategien für die digitale Gesundheit zu unterstützen oder zumindest sicherzustellen, dass eine digitale Gesundheitskomponente Teil einer allgemeinen nationalen Gesundheitspolitik oder -strategie ist. Digitale Gesundheit sollte ein Wegbereiter für die Erreichung nationaler Gesundheitsziele sein.
Außerdem sind wir fest entschlossen, die Digitalkompetenz der Bevölkerung zu stärken, mit besonderem Augenmerk auf die Arbeitskräfte des Gesundheitswesens. Das betrifft sowohl den Gebrauch von digitalen Gesundheitsdiensten als auch Präventionsmaßnahmen oder Therapiebegleitung.
3. Aufbau von Netzwerken und Förderung des Dialogs und Wissensaustauschs zwischen Partnern, Stakeholdern und der breiten Öffentlichkeit, um die Innovationsagenda für digitale Gesundheit umzusetzen
Für dieses Ziel haben wir ehrgeizige Pläne:
- Abstimmung: Wir wollen uns mit unseren wichtigsten Partnern – unter anderem die Europäischen Kommission – abstimmen, damit wir das gesamte Potenzial und Fachwissen unserer europäischen Institutionen in diesem Arbeitsbereich nutzen können.
- Verbreitung und Austausch: Die Verbreitung von Good Practices und Erkenntnissen sollen erleichtert werden. Wie ich bereits erwähnt habe, handelt es sich hier um einen relativ neuen Arbeitsbereich, etwa im Vergleich zu übertragbaren oder nicht übertragbaren Krankheiten. Dennoch können wir sagen, dass wir relativ gute Evidenz darüber haben, was funktioniert. Aber wir wissen immer noch nicht, was bei der Umsetzung von Projekten im Bereich der digitalen Gesundheit nicht gut funktioniert hat. Das sollten wir in Zukunft offener ansprechen.
- Strategischer Partnerschaftsrat: Es wird ein Rat für digitale Gesundheit eingerichtet, um den Wissensaustausch zwischen den Communities für digitale Gesundheit, Biowissenschaften und Innovation sowie der WHO zu fördern. Ziel ist es, ein Dialogforum zu schaffen, das dazu beiträgt, die Kluft zwischen öffentlichem und privatem Sektor zu überbrücken und die größten Herausforderungen bei der Umsetzung in der Region zu ermitteln und festzustellen, wo die WHO Unterstützung leisten kann und die WHO bei der Festlegung künftiger strategischer Prioritäten für Daten und digitale Gesundheit zu unterstützen.
4. Technologie-Scouting und Angebots-Analysen zur Ermittlung von patientenorientierten Lösungen, die auf Länder- oder Regionalebene ausgeweitet werden können, um Public Health und Gesundheitssysteme der digitalen Ära zu gestalten
Durch dieses Ziel werden wir die Entwicklungen und Trends bei digitalen Lösungen weiterhin beobachten. Sie können die WHO also als primäre Innovationsquelle betrachten, wenn Sie in diesem Arbeitsbereich auf dem Laufenden bleiben wollen. Wir gehen davon aus, dass Sie sich an die WHO wenden können, wenn Sie wissen wollen, was es in diesem Bereich Neues gibt.
Um diese Maßnahmen auf dem neuesten Stand zu halten, planen wir, den Mitgliedstaaten und Partnern alle zwei Jahre die Fortschritte bei den strategischen Prioritäten vorzustellen. Darüber hinaus werden die beispielhaften Maßnahmen bei Bedarf überprüft und aktualisiert.
Was sind die nächsten Schritte zur Umsetzung des Plans?
Die Länder wurden gebeten, innerhalb der 18 regionalen Schwerpunktbereiche, die im Plan genannt werden, folgende Prioritäten zu setzen: Förderung der digitalen Kompetenz der Bevölkerung mit besonderem Augenmerk auf die Fachkräfte im Gesundheitswesen; Stärkung der Gesundheitsinformationssysteme und der Datennutzung sowie -Verwaltung; Förderung von Innovationen im Bereich der Predictive Analytics für eine bessere Gesundheit durch Big Data und künstliche Intelligenz; Austausch von Good Practices und Learnings zu Digital Health zwischen den Mitgliedstaaten – wobei auf einen „menschenzentrierten“ Ansatz zu achten ist, um Vertrauen zu schaffen.
Was wird der größte Nutzen des Digital Health Plans sein?
Die fünf wichtigsten Vorteile des Digital Health Plans in den nächsten zwei Jahren sind aus meiner Sicht:
- Leitlinien zu den wichtigsten Digitalen-Gesundheits-Bereichen werden entwickelt und den Mitgliedstaaten zur Verfügung stellen. Außerdem werden die Kapazitäten in diesen Bereichen ausgebaut.
- Ein standardisierter Ansatz zur Messung der digitalen Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung auf nationaler und regionaler Ebene wird vorgeschlagen.
- Die internationale Koordinierung und Zusammenarbeit zum Nutzen der Mitgliedstaaten wird verbessert.
- Ein standardisierter Ansatz für die Überwachung der digitalen Gesundheit auf nationaler und regionaler Ebene wird vorgeschlagen.
- Endkunden und entsprechende Bevölkerungsgruppen werden dahingehend untersucht, was sie befähigt digitale Gesundheitsdienste zu nutzen.
Fortschritt durch den Menschen im Mittelpunkt
Wir werden nur dann Fortschritte erzielen, wenn wir erstens den Menschen in den Mittelpunkt stellen, zweitens die Herausforderungen des Gesundheitssystems, einschließlich der Gesundheitsbedürfnisse und -trends, verstehen, drittens die Notwendigkeit einer politischen Entscheidungsfindung auf der Grundlage von Daten, Fakten und Erfahrungen anerkennen.
Viertens müssen wir anerkennen, dass die Institutionalisierung der digitalen Gesundheit ein langfristiges Engagement und einen integrierten Versorgungsansatz erfordert.
Über diese Leitprinzipien hinaus, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass es sich um eine Teamleistung handelt: Wenn wir nicht gemeinsam in dieselbe Richtung arbeiten, werden wir scheitern. Es ist also an der Zeit, gemeinsam zu handeln.
Grafik: Shutterstock.
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