Menschen wie Computer zu programmieren, ist möglich, meint die Futuristin Amy Webb. Die Co-Autorin des Buches „The Genesis Machine: Our Quest to Rewrite Life in the Age of Synthetic Biology" (übersetzt: : Die Entstehungs-Maschine: Unser Streben, das Leben im Zeitalter der synthetischen Biologie neu zu schreiben) erforscht die faszinierende und beängstigende Verschmelzung von Technik und Biologie. Die synthetische Biologie - Was bedeutet dieser große Wandel für uns?
Was bedeutet synthetische Biologie?
In der synthetischen Biologie werden ingenieurwissenschaftliche Prinzipien in die Biologie eingebracht. Ziel dieser interdisziplinären Vorgehensweise ist es nicht mehr nur, Vorgänge in Lebewesen zu beobachten und zu beschreiben. Im Fokus steht, Vorgänge neu zu gestalten beziehungsweise sie in synthetischen Systemen nachzuahmen. Der gemeinsame Anspruch der „Bioingenieure“ ist, biologische Systeme modulartig zu bauen und sie mit Eigenschaften und Fähigkeiten zu versehen, die in der Natur nicht vorkommen.
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft, Synthetische Biologie
In der synthetischen Biologie geht unter anderem darum, „Organismen für nützliche Zwecke umzugestalten, indem man ihnen neue Fähigkeiten verleiht“. Was fasziniert Sie an diesem multidisziplinären Wissenschaftszweig am meisten?
Amy Webb: Die größten Innovationen des 21. Jahrhunderts werden an der Schnittstelle zwischen Biologie und Technologie stattfinden. Das betrifft Menschen, Tiere, Pflanzen, Viren – auf der Erde und außerhalb des Planeten. Die Möglichkeit, den biologischen Code umzugestalten, eröffnet uns enorme Möglichkeiten in praktisch allen denkbaren Bereichen.
Ihr neues Buch „The Genesis-Maschine: Our Quest to Rewrite Life in the Age of Synthetic Biology“ wurde nur ein Jahr nach der Erfindung der mRNA-Impfstoffe veröffentlicht. Dieser bahnbrechende Fortschritt in den Biowissenschaften ermöglichte die Programmierung der menschlichen Immunität. Ist dies der Beginn einer neuen Ära in der Medizin?
Nun, mRNA-Impfstoffe wurden nicht erst vor einem Jahr entdeckt – die Technologie war bereits erfunden, und die Forschung lief bereits seit einem Jahrzehnt. Der Einsatz von mRNA zur Eindämmung von SARS-CoV-2 stellte einen skalierbaren Anwendungsfall dar, der in gewisser Weise eine neue Ära der programmierbaren Medizin einläutete. Die mRNA-Technologie wird nun für viele Dinge untersucht, unter anderem für einen universellen Grippeimpfstoff.
Jeder wünscht sich ein gesundes und langes Leben: ‚Hacken‘ wir jetzt das biologische Alter? Ist das der nächste Traum, der in Erfüllung geht? Können wir die Alterung verhindern? Wenn man davon ausgeht, dass dies kostspielig sein wird, ist das „Hacken des biologischen Alters“ dann nicht ein potenzieller Beschleuniger sozialer Ungleichheiten mit unabsehbaren Folgen?
In den nächsten 30 Jahren werden wir anfangen, das Altern als eine behandelbare Krankheit zu sehen. Wir könnten länger und gesünder leben, ohne degenerative Erkrankungen. Im Idealfall hätten wir ein gesundes Leben mit einem einzigen schlechten Tag am Schluss. Die Technologie, die dies möglich macht, sollte gerecht verteilt sein, ebenso wie Präventivmedizin und Wellness. Angesichts der derzeitigen Entwicklung in den USA ist es allerdings unwahrscheinlich, dass in 30 Jahren alle Menschen Zugang zu einer guten, erschwinglichen Gesundheitsversorgung haben.
Außerdem wird es zu einer weiteren Spaltung kommen – ältere, gesunde Menschen gegen jüngere Arbeitskräfte: Wenn Führungskräfte einfach nicht in den Ruhestand gehen und keinen Platz für andere schaffen.
Sollte aber die Gesundheitsfürsorge für jeden erschwinglich und zugänglich sein, dann haben wir ein anderes potenzielles Problem, nämlich, dass unsere Sozialsysteme an ihre Grenzen kommen. Rentensysteme, bei denen es jetzt schon bröckelt, würden implodieren. Menschen, die für den Ruhestand gespart haben, hätten möglicherweise nicht genug, um eine längere Lebensspanne abzudecken. Menschen, die nicht sparen konnten oder wollten, werden auf staatliche Leistungen angewiesen sein.
Was sind die Hauptrisiken der synthetischen Biologie?
In unserem Buch listen wir neun kritische Risiken durch synthetische Biologie auf. Ich werde hier drei davon hervorheben, beginnend mit der Zunahme der Gain-of-function-Forschung. Im Jahr 2011 gab ein Forscher in Rotterdam bekannt, dass er das H5N1-Vogelgrippevirus so „erweitert“ habe, dass es als tödlicher neuer Grippestamm von Vögeln auf Menschen und dann von Mensch zu Mensch übertragen werden könne. Vor Covid war H5N1 das schlimmste Virus auf unserem Planeten seit der Spanischen Grippe mit einer hohen Sterblichkeitsrate. Solch eine Forschung ist unnötig und offensichtlich gefährlich.
- Googles DeepMind-Abteilung hat gerade den Code für die Proteinfaltung mithilfe von KI geknackt – es besteht also einfach keine Notwendigkeit für menschliche Forscher, Viren absichtlich zu verändern, um einen zukünftigen Impfstoff zu entwickeln, insbesondere, da Viren von selbst mutieren. Aber diese Gain-of-Function-Forschung ist in vielen Ländern nicht verboten.
- Zweitens ist die DNA ein Sicherheitsrisiko. Der größte Besitzer menschlicher DNA ist die chinesische Regierung, aber die zweit- und drittgrößten DNA-Bestände werden von 23andMe und Ancestry.com gehalten. In Zukunft könnten die besorgniserregendsten Verstöße gegen die Datensicherheit unsere DNA betreffen. Die Biologie könnte – in der Ära, die jetzt beginnt – zu einem großen Informationssicherheitsproblem werden.
- Drittens werden wir wahrscheinlich neue geopolitische Konflikte erleben, bei denen die synthetische Biologie eine Rolle spielt. Der nächste Krieg könnte ein biologischer sein – wir müssen uns auf die Gefahr einer Bioeskalation vorbereiten.
Sie haben fünf Zukunftsszenarien skizziert. Welches davon halten Sie am wahrscheinlichsten?
Es handelt sich um spekulative Szenarien, die auf heutigen Signalen und Daten beruhen, daher zögere ich, darauf zu wetten, welches am wahrscheinlichsten ist. Sie sind alle plausibel. Das fünfte Szenario, „Das Memo“, macht mir am meisten Sorgen, weil wir auf diese Zukunft am wenigsten vorbereitet sind. Es beinhaltet einen Unfall in einem Labor und den Beginn eines weit verbreiteten Angriffs mit cyber-biologischer Schadsoftware. Was wir in diesem Kapitel beschreiben, ist bereits heute möglich.
Vor drei Jahren schrieben Sie ein Buch über Big Tech und ihren überwiegend negativen Einfluss auf die Menschheit. Seitdem hat Facebook das Metaversum angekündigt und die COVID-19-Pandemie hat die Virtualisierung des Lebens beschleunigt – von ZOOM-Meetings bis zum Online-Shopping. Wie anders wird die Welt also nach der Pandemie sein?
In mancher Hinsicht gar nicht so sehr. Aber in anderer Hinsicht – vor allem in Bezug auf die Überwachung – werden wir schlechter dran sein. Covid wirkte als positiver Katalysator für große Technologieunternehmen, und weil wir wieder arbeiten wollten, haben wir uns der biometrischen Überwachung unterworfen, die kaum transparent ist und bei der die Verantwortlichkeiten nicht wirklich geklärt worden sind.
Sie weisen darauf hin, dass sich die Technologie schneller weiterentwickelt als Ethik und Governance. Können wir das ändern, damit jede bahnbrechende Innovation zum Wohle der Menschheit erfolgt und für alle zugänglich ist?
Ich glaube, dass wir das können, aber es wird koordinierte Arbeit erfordern. Das beschreiben wir im vierten Teil der „Genesis-Maschine“, wo wir einen Plan für die Erhaltung einer Good Governance und eine Reihe globaler Leitplanken beschreiben sowie ein System nach dem Vorbild von Bretton Woods zum weltweiten Datenaustausch und zur Durchsetzung von Sicherheitsmaßnahmen. Wir haben jetzt etwas Zeit, um globale Pläne zu entwickeln. Ich sage „etwas“, nicht „unendlich“. Wir müssen uns jetzt an die Arbeit machen, mit einem Gefühl der Dringlichkeit.
Ihr Buch zeigt mögliche Zukunftsszenarien, einschließlich der Risiken, die das Human Engineering mit sich bringt. Was sollten wir tun, um das Beste aus der synthetischen Biologie zu machen und eine bessere Zukunft zu schaffen?
Zunächst müssen wir offen bleiben – und bereit sein, unsere liebgewonnenen Überzeugungen in Frage zu stellen. Die synthetische Biologie wird zu Lösungen führen, die heute nur schwer vorstellbar sind, die aber den globalen Herausforderungen gerecht werden, wenn es darum geht, Milliarden von Menschen zu ernähren, zu kleiden, zu beherbergen und zu versorgen.
Das Leben wird programmierbar; die synthetische Biologie gibt das kühne Versprechen, die menschliche Existenz zu verbessern. Die Verbraucher müssen sich vor Fehlinformationen hüten oder dürfen auch nicht einfach davon ausgehen, dass diese Technologie dasselbe wie ein gentechnisch veränderter Organismus ist und daher ausdrücklich schlecht. Die politischen Entscheidungsträger müssen einen langfristigen strategischen Plan entwickeln und einhalten, der auch die Zusammenarbeit mit anderen Ländern einschließt. Die Investoren müssen geduldig sein. Was wir aber wirklich brauchen, ist eine gemeinsame globale Vision, wie sich das Leben in planetarischem Maßstab entwickeln kann.
Könnten Sie den Leserinnern und Lesern bitte eine positive Sache mitteilen, über die wir uns in naher Zukunft freuen sollten?
Die synthetische Biologie gibt uns die Möglichkeit, Lebensmittel zu produzieren. Kultiviertes Fleisch, das aus gezüchteten Zellen statt aus Pflanzen hergestellt wird, wird, ist im Kommen. Es ist besser für den Planeten, besser für uns und viel besser für die Tiere selbst.
Die ersten CRISPR-gezüchteten Tomaten kamen 2021 in den Handel – sie bleiben länger frisch. Es gibt jetzt Milchprodukte – Joghurt, Käse und Eiscreme –, die so „gezüchtet“ wurden und genauso schmecken wie das, was Sie gewohnt sind, für deren Herstellung es aber keine großen landwirtschaftlichen Betriebe brauchte. Wenn sich das weiter verbreitet, können wir die globalen Nahrungsmittelkrisen auf der ganzen Welt lindern.
Worum wird es in Ihrem nächsten Buch gehen?
Natürlich um die Zukunft.
Danke!
Interview mit freundlicher Genehmigung von Artur Olesch.
Amy Webb + Andrew Hessel: „The Genesis-Maschine: Our Quest to Rewrite Life in the Age of Synthetic Biology“
Artikelbild: Shutterstock
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